Es ist mir unverständlich, wie aufgeklärte Menschen die Abschaffung des Religionsunterrichts fordern können. Das würde nämlich nur zu einem führen: Die Fundis jeder Konfession organisieren sich ihren Religionsunterricht selbst. Sunday School heißt das in den USA: Während sich in den Eltern Jesus reinkarniert, lernen die Kinder, dass Harry Potter satanistisch ist und sie Sünder sind, die Gott um Vergebung bitten müssen. In Österreich läuft das dann vielleicht liberaler ab: Kinder bitten am Sonntag Gott um Vergebung für die Homosexuellen und hoffen, dass er sie bald heilt. Auch für tolle Abwechslung ist gesorgt: einmal im Monat kommt die Musicalgruppe und führt das neue Abstinenzstück vor. Im interkonfessionellen Religionsunterricht zu dem die Katholiken ihre muslimischen Brüder einladen, wird dann die Existenz Israels und des Holocausts angezweifelt. Und wenn der islamische Religionslehrer den Kids erzählt, dass Demokratie und Islam eigentlich nicht so gut zusammenpassen, nicken alle anderen Religionslehrer verschmitzt und freuen sich, dass keine Umfrage über sie gemacht wurde.
Endlich haben wir es geschafft: Religion ist Privatsache!
Die jüngsten Aussagen von VertreterInnen diverser Kirchen zeigen nur eines: Religionsunterricht braucht staatliche Kontrolle. Dass der Status quo dafür zu wenig ist, ist völlig klar. Es kann nicht sein, dass die Kirchen sich ihre LehrerInnen selbst ausbilden dürfen und der Staat sie bloß anstellt. Schulbücher müssen genauso durch ein aufgeklärtes Zensorium geschickt werden wie Lehrpläne. Es ist absurd, dass man sich vom Religionsunterricht abmelden muss, anstatt sich anmelden zu müssen und die Stunden sollten an den Rand eines Unterrichtstages gedrängt werden.
Es muss jedem/r aufgeklärten SteuerzahlerIn wert sein, dass sein/ihr Geld zur Kontrolle von Kirchen verwendet wird. Abschaffen des Religionsunterricht verhindert ihn nicht, es entzieht ihn nur staatlicher Kontrollmechanismen und führt zu einer stärkeren Fundamentalisierung.
Ethikunterricht ist eine Augenauswischerei, da geb ich dir recht. Die Frage mit der Religion ist schwierig. Hat sich der gute Faust schon schwer getan mit beantworten. Aus (kultur)wissenschaftlicher Sicht ist Religion höchst spannend. Auf der Uni, zum Beispiel, sollt der Zusammenhang von Wissenschaft und Religion viel öfter Thema sein.
Sonst sinds halt mehr oder weniger nette Gschichteln und ob die jetzt staatlich kontrolliert werden oder nicht… bei DEM Staat… ich weiß nicht…
@yussi: also ich finde, ein fach in dem ethische fragen gestellt und diskutiert sowie die antworten verschiedener weltanschauungen/religionen gegenueber gestellt werden, macht ebenso sinn, wie praktische uebungen und projekte zu derartigen themen, konflikt-praevention, vielfalt, toleranz usw. usf. – das ist schon mehr als philosophie..
Dass Europa zu säkular ist war auch mein Gedanke bis ich darauf aufmerksam gemacht wurde, dass die kontinuierliche Marginalisierung der Religionsgemeinschaften in den USA auch einen anderen Effekt hatte. Als die Vernünftigen der Religion den Rücken kehrten, blieb nur der Wahnsinn zurück. Dies hatte eine Radikalisierung zur Folge hatte, von der aus dann wieder Terrain gewonnen wurde. Radikale Gruppen haben einfache Botschaften, mit diesen ist es aber leichter wieder Einfluss zu erlangen und homogene ideologische Blöcke aufzubauen.
Ich glaube bei aller Wichtigkeit sozialer und ökonomischer Fragen ist die Nichtausbreitung des religiösen Fundamentalismus in Europa wahrscheinlich das wichtigste Ziel aufgeklärter Menschen. Europa darf nicht der Mittelwesten werden um es pikant zu formulieren. Yussis Beitrag ist in diesem Zusammenhang ein wirklich relevanter Gedanke.
Und die zweite Sache, die ich nicht verstehe sind Linke, die für Ethikunterricht sind. Was soll denn das überhaupt sein? Die Forderung nach Ethikunterricht tut ja so, als ob die Abschaffung von Religionsunterricht zu einem Verlust der Wertvermittlung geführt hätte, der jetzt durch den Ethikunterricht wieder ausgeglichen werden muss.
Ich lass mir einreden, dass Philosophie mehr und schon in der Unterstufe unterrichtet wird, aber was denn bitte soll Ethikunterricht sein, wenn nicht ein Ersatzprogramm für arbeitslose ReligionslehrerInnen?
Ich nehme an, daß sich die Fundis jeder Religion ihren „Unterricht“ wohl auch jetzt schon selber organisieren, weil ihnen der Schulunterricht zu „weich“ ist. Da würde sich nichts ändern, da das im Gegensatz zu den USA bei uns eine kleine Minderheit ist – eine breite Sunday School Bewegung wird sich im verhältnismäßig säkularisierteren Europa nicht entwickeln. Sollten es die Eltern übertreiben, wäre es ein Fall fürs Jugendamt.
Für die überwiegende Mehrheit wäre eine Ersetzung von konfessionellem Unterricht durch einen vernunftgeleiteten Ethik-Unterricht ein Fortschritt und eine Erleichterung.
Ich finde ehrlich gesagt das Berliner Modell – gegen das gerade die Kampagne „pro reli“ der Kirchen läuft – am besten, das gemeinsamen Ethikunterricht vorsieht. Denn prinzipiell ist die Teilung von Klassen entlang von Konfessionen problematisch. Einige gute Argumente für gemeinsamen Ethikunterricht liefert die Homepage der Berliner Gegenbewegung zu „pro reli“, nämlich „pro ethik.
geh bitte:
a) Extremistischer Fundamentalismus ist so oder so verbunden.
b) Nur weil staatliches Geld für den Religionsunterricht aufgewendet wird, heißt dass nicht, dass er auch vom Staat bestimmt wird. ReligionslehrerInnen werden zwar vom Staat bezahlt, sind aber nicht dem Landesschulrat sondern der Kirche unterstellt.