Der wirtschaftspolitische Amoklauf des Duos Merkel-Steinbrück
Vor mittlerweile gut zwei Jahren hatte ich das zweifelhafte Vergnügen den deutschen Finanzminister Peer Steinbrück gemeinsam mit Peter Bofinger, dem einzigen Postkeynsianer im deutschen „Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung“, auf einer Diskussionsveranstaltung der Jusos an der TU Berlin zu erleben (Vorträge und Diskussion sind als MP3 zum Nachhören online). Der Schock damals saß tief.
Ständig wiederholte Steinbrück, Deutschland habe „1500 Milliarden Euro Schulden“, sei völlig überaltert und müsse deshalb sparen. Einmal zeigte er sogar in die Runde der anwesenden Studierenden mit den Worten „Sie sind es, die diesen Kapitaldienst zu leisten haben.“ Schon damals präsentierte sich Steinbrück selbst als einen Mann der unbequemen Wahrheiten, als den „letzen Aufrechten“ (© Zeit 50/2008) im Kampf gegen die Verschwendungssucht mit einem einzigen Ziel, dem alles andere unterzuordnen sei: ein ausgeglichener Haushalt.
Bofinger scheiterte völlig mit seinen Versuchen, Steinbrück davon zu überzeugen, dass erstens die absolute Höhe der Schulden keine Aussagekraft hat und es zweitens vor allem darauf ankommt, bei wem man sich verschuldet: Wenn sich der Staat bei seinen eigenen BürgerInnen verschuldet und nicht im Ausland, dann erben diese nicht nur die Schulden, sondern auch die Forderungen und übrig bleibt ein – durchaus nicht zu unterschätzendes – Verteilungsproblem, weil nur eine (wohlhabende) Minderheit in den Genuss staatlicher Zinszahlungen gelangt. Und schon lange vor dem Verfall der Aktienkurse wies Bofinger auf die Bedeutung von Staatsschuldtiteln als sichere Anlageform für private Altersvorsorge hin. Von den langfristigen Kosten, die mit (falschem) Sparen an Investitionen in Bildung und Umweltschutz entstehen ganz zu schweigen.
Steinbrück hingegen beharrte damals auf seiner Karl-Heinz-Grasser-Null-Defizit-Linie und gefiel sich in der Rolle des einsam-eisernen Budgetwächters der im Interesse zukünftiger Generationen sparen wolle. Dass Steinbrück damals mit seiner Meinung keineswegs alleine dastand, sondern im Gegenteil von einer medialen Einheitsfront von FAZ über den SPIEGEL bis hin zur Süddeutschen Zeitung Flankenschutz bekam, hat mich damals in ihm einfach nur einen Opportunisten sehen lassen. Heute, angesichts der Finanzmarktkrise und deren realwirtschaftlichen Folgen, steht (leider) fest, ich lag daneben. Es ist viel schlimmer: Steinbrück glaubte wirklich, was er damals gesagt hat. Am allerschlimmsten aber ist: er glaubt es noch immer.
Inzwischen hat Steinbrück nur noch eine Verbündete: Angela Merkel. Zusammen schaffen Sie es, dass Deutschland in Europa vom Motor der europäischen Einigung und Wirtschaftspolitik zur Bremse wird. In einer Zeit, in der immer mehr Menschen zu begreifen beginnen, dass neoliberale Dogmen das Problem und nicht die Lösung sind und in der auch der Rest sich zumindest darin einig ist, dass heutiges „Sparen“ morgen viel mehr kosten würde, als ein paar Prozent mehr Defizit – in dieser Zeit verweigern Merkel und Steinbrück nicht nur Deutschland ein angemessenes Konjunkturpaket sondern ganz Europa wirtschaftspolitische Solidarität. Warum?
Ich bin inzwischen versucht, die Erklärung für dieses Verhalten im deutschen Glauben an Katharsis, an reinigende „Stahlbäder“ zu finden. Wenn schon nicht (mehr) im wörtlich-kriegerischen, so zumindest im übertragen-wirtschaftlichen Sinne. Denn soviel auch über protestantische Ethik in den USA geschrieben wurde, dort endet sie stets vor den Toren von Walmart. Die Sparquote liegt in den USA knapp über Null. In Deutschland hingegen herrscht immer noch Webers protestantischer Geist des Kapitalismus, nach dem nur über Entsagung, Verzicht und das gemeinsame „den Gürtel enger schnallen“ Wohlstand und Wachstum zu erzielen seien. Was für den/die Einzelne/n noch stimmen mag, wird fatal wenn alle zur gleichen Zeit sparen und dadurch alle armer werden (vgl. dazu Robert Misiks Webcast zum solidarischen Einkaufen). Soweit, so schlecht für Deutschland. In einem europäischen Binnenmarkt aber zieht diese Enthaltsamkeit der größten Volkswirtschaft auch alle anderen mit hinunter, verringert sie die Wirksamkeit der Maßnahmen von Frankreichs Sarkozy und Großbritanniens Brown.
In meinen Alpträumen führt so der Merkel-Steinbrück-Kurs zum Verpuffen der (richtigen) Maßnahmen im Rest Europas während gleichzeitig Deutschlands exportorientierte Wirtschaft überproportional davon profitiert – und so Merkel und Steinbrück am Ende auch noch triumphierend behaupten lässt, keynsianische Maßnahmen in den Nachbarstaaten seien eben wirkungslos gewesen und der deutsche Sparkurs habe sich bewährt.
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