Clemens Kaupa
109 von 183 Abgeordneten haben gestern für Martin Graf als dritten Nationalratspräsidenten gestimmt. Demnach haben also 74 Abgeordnete ihre Stimme gegen ihn abgegeben. Die Grünen mit ihrem Gegenkandidaten VdB machen davon 20 aus. Nachdem der SPÖ-Klub die Abstimmung freigegeben hat, ist davon auszugehen, dass die Mehrheit der Gegenstimmen von SPÖ-Abgeordneten kam.
Klar war, dass Graf dennoch eine Mehrheit von schwarz-blau-orange bekommen wird. Die Entscheidung der SPÖ war dennoch gut und wichtig. Es heißt, dass sich die SPÖ vor der ewigen Maulerei wegen angeblicher „Ausgrenzung“ nicht mehr fürchtet. Und es wäre auch absurd zu glauben, dass die SPÖ durch Duckmäuserei diesem Vorwurf entgehen könnte. Selbst wenn die SPÖ geschlossen für Graf gestimmt hätte, wäre es zur üblichen Ausgrenzungsheulerei gekommen, in diesem Fall gegen „die Linken“ im Dokumentationsarchiv. Die ewige Leier von der Ausgrenzung braucht keinen realen Hintergrund, um zu funktionieren.
Tatsächlich kann man, wie die SPÖ gestern im Nationalrat gezeigt hat, den Spieß umdrehen und sagen: Grundsätzlich hat die FPÖ einen Anspruch auf den dritten NR-Präsidenten. Aber wenn sie aus Berechnung oder aus purer Freude an der Provokation den größten Rechtsextremen ihrer Fraktion nominieren, haben sie die resultierende Ablehnung selbst zu verantworten. Und ab jetzt kann man auch die ÖVP an diesem Maßstab messen. Warum hat den die ÖVP nicht auf einen weniger provokanten Kandidaten oder KandidatIn gedrängt?
Es ist die richtige Strategie, die FPÖ zu konfrontieren. So kann man den irrsinnigen Charakter ihrer FunktionärInnen und ihrer Politik aufzeigen. Thurnher schreibt im heutigen Falter, dass eine Konfrontationsstrategie der FPÖ bei den NR-Wahlen und den letzten Wien-Wahlen zum Sieg beigetragen hat. Die gestrige Abstimmung ist ein positives Zeichen dafür, dass die SPÖ das auch so sieht.
(Anmerkung: aus Sicht der Linken ist der Begriff der „Konfrontation“ besser als die Begriffe der „Ausgrenzung“ oder der „Abgrenzung“, wie sie Thurnher verwendet. Wir grenzen die FPÖ nicht aus und grenzen uns nicht von ihr ab, sondern wir konfrontieren sie.)
Liebe Sektion 8,
ich find ja an sich sehr erfreulich, dass es innerhalb der Sozialdemokratie noch Leute wie euch gibt, die linke Inhalte zu forcieren versuchen. Aber dieser Text hier verwundert mich schon ziemlich, gerade, weil er sehr wenig kritische Distanz zur Partei erkennen lässt. Dass Cap Gedankenfreiheit gibt (und die vom Klub dann nicht mal genutzt wird, um geschlossen gegen Graf zu stimmen, bzw. die einige sogar nutzen, um ihn zu wählen), soll Ausdruck einer „Konfrontation“ der FPÖ sein? Wenn ich vielleicht an die 90er erinnern darf, gabs da mal einen blauen Kandidaten fürs Präsidium – Brauneder – der von der Sozialdemokratie sehr wohl geschlossen abgelehnt wurde, obwohl er im Vergleich zu Graf, mit Verlaub, ein Lercherl war. Vor diesem Hintergrund ist die Grafwahl wohl viel eher Beleg für den Rechtsruck der SP als für eine wiedergefundene Politik der Abgrenzung (was an dem Begriff gegenüber der FPÖ verwerflich sein soll, will mir übrigens auch nicht eingehen) oder eben „Konfrontation“. Ich will ja gar nicht wissen was passiert wäre, hätte die FPÖ eben nicht ihren Parade-Fscho aufgeboten, sondern von mir aus eine Belakowitsch-Jenewein oder einen Norbert Hofer. Der Logik eures Artikels nach wäre deren Wahl wohl sogar zu unterstüzen gewesen (oder unterstell ich euch da was?).
Mit lieben Grüßen,
b.