Die Zustimmung zu den Kriegskrediten von 1914 war der sozialdemokratische Beitrag zur Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Die Agenda 2010 war der deutsche sozialdemokratische Beitrag zur neoliberalen Wende und ihrer Krise. Das öffentliche Eingeständnis eines nationalistischen Irrweges wurde nach 1918 versäumt. Mit verheerenden Folgen. Das öffentliche Eingeständnis eines neoliberalen Irrweges – wie es SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles in ihrem kürzlich erschienen Buch ablegt – ist heute die einzige Chance auf einen radikalen Neubeginn. Im Interesse der Sozialdemokratie und der von ihr vertreten Menschen.
Die sozialdemokratische Bewegung rühmt sich ihrer demokratischen und pazifistischen Geschichte. Nicht ganz zu Unrecht, hat sie doch zwischen den Kriegen sowohl in Deutschland als auch in Österreich meist alleine die Fahne der demokratischen Republik hochgehalten. Zeitgleich haben sich sowohl das bürgerliche Lager, als auch die Kommunisten autoritären bis schließlich totalitären Denk- und Handlungsmustern zugewandt. Im österreichischen Bürgerkrieg von 1934 hat die SDAP sogar die bürgerliche Demokratie mit der Waffe in der Hand gegen die Bürgerlichen verteidigt. Die Sozialdemokratie hat im Gegensatz zu Nationalisten (NS-Regime), Konservativen (Austrofaschismus) und Kommunisten (DDR) niemals ein diktatorisches Regime errichtet. Weder im deutschsprachigen Raum noch sonst wo. Sie war nie so dogmatisch um für ihre Überzeugungen Regime zu errichten, Angriffskriege zu führen oder Imperien auszurufen.
Zwei große historische Irrtümer
Die theoretische Offenheit der Sozialdemokratie ermöglicht immer wieder Adaptionen an die empirische Realität. Dieser reformistisch-evolutionäre Ansatz schützt allerdings nicht nur vor Dogmatismus, sondern öffnet auch Raum für Irrtümer. Dabei kam es gelegentlich zu Handlungen wider sozialdemokratischen Kernauffassungen. Klar ist es leichter im Nachhinein die Grenzen zwischen legitimer Alltagsstrategie und Verletzung substanzieller Wertvorstellungen zu erkennen, als in der Hitze des politischen Alltagsgefechts. Faktum ist, dass die deutsche Sozialdemokratie aus heutiger Sicht zwei Mal in ihrer Geschichte unantastbare Werthaltungen dem politischen Zeitgeist geopfert hat: Continue Reading →