Der Staatsschutz und die Lücke der Unwissenheit

Seit April wird in Österreich über Pläne diskutiert, die Polizei mit weitreichenden Überwachungsbefugnissen auszustatten. Während die einen behaupten, dies wäre nötig, um den Staat vor „verfassungsgefährdenden Angriffen“ zu schützen, sehen die anderen ihre verfassungsmäßig garantierten Rechte gefährdet. Dazwischen klafft eine riesige Lücke der Unwissenheit. Bevor diese nicht geschlossen ist, darf ein derartiges Gesetz nicht verabschiedet werden.

Gastbeitrag von Werner Reiter*

Inhalt

Der Plan

Im Vorjahr feierte der Arbeitskreis Vorratsdaten Österreich (kurz AKVorrat) seinen bislang größten Erfolg. Unsere Klage gegen die Vorratsdatenspeicherung war vom Europäischen Gerichtshof behandelt worden und der hat in einem richtungsweisenden Urteil entschieden, dass solche Instrumente der Massenüberwachung nicht mit allgemein anerkannten Grund- und Menschenrechten vereinbar sind. Erstmals wurde eine EU-Richtlinie vom Höchstgericht gänzlich gekippt und nicht nur einzelne Bestimmungen daraus in Reparatur geschickt. Die Vorratsdatenspeicherung wurde in Österreich abgeschafft und wir als AKVorrat wollten uns in aller Ruhe unserem Projekt einer Überwachungsgesamtrechnung widmen. Unser Vorhaben war, der Politik unter die Arme zu greifen und ganz im Sinne des EuGH-Urteils einen „Handlungskatalog zur Evaluierung der Anti-Terror-Gesetze“ (kurz HEAT) auszuarbeiten.

Damit sollte zum einen ein umfassender Überblick über alle gesetzlichen Möglichkeiten zur Überwachung von Menschen geschaffen werden (die sind in unterschiedlichen Gesetzen geregelt). Es sollte zum anderen aber auch ihre Wirksamkeit und Vereinbarkeit mit Freiheitsrechten evaluiert werden. Jedes neue Gesetz, das Überwachungsbefugnisse regelt, sollte an unserem – nach allen Regeln der Rechtswissenschaften erstellten – Katalog gemessen werden. HEAT sollte unser Beitrag zu Schließung der Unwissenheitslücke sein, das war der Plan.

Es kam anders

Wir hatten noch nicht einmal Arbeitspaket 1 von HEAT abgeschlossen, da veröffentlichte das Innenministerium im April einen Entwurf für ein neues Staatsschutzgesetz. Der löste schon nach dem ersten Lesen größeres Unbehagen bei uns aus als es die Vorratsdatenspeicherung je getan hatte. Die Liste der Gründe für dieses Unbehagen ist lang: Weitreichende Überwachungsbefugnisse ohne richterliche Kontrolle, die Einrichtung von zehn Inlandsgeheimdiensten, Überwachung ganzer „Gruppierungen“, das Durchleuchten des Privatlebens unschuldiger Menschen durch Zugriff auf deren Gesundheitsakten oder Bankdaten, die Legalisierung von schrankenloser Internetüberwachung, der Einsatz von bezahlten Spitzeln und vor allem extrem lange Speicherfristen für erfasste Daten. Letztere sollen zwölf Mal länger sein als bei der Vorratsdatenspeicherung. Die Informationen, die zur „Bewertung von wahrscheinlichen Gefährdungen“ in einer Datenbank gesammelt werden, sollen sechs Jahre lang aufbewahrt und – Österreich will auch auf der Überwachungsweltbühne mitspielen – mit ausländischen Geheimdiensten ausgetauscht werden.

Massive Kritik

Im Begutachtungsverfahren für das Gesetz hagelte es Kritik aus allen Bereichen der Gesellschaft: Amnesty International, Arbeiterkammer, Gewerkschaftsbund, Bischofskonferenz, Richtervereinigung und viele mehr brachten massive Bedenken vor. Auch der AKVorrat gab eine Stellungnahme ab. Auf insgesamt 80 Seiten haben unsere Juristen argumentiert, warum das Gesetz in der Form nicht beschlossen werden soll. Geholfen hat das nicht viel. Vor der Sommerpause wurde im Ministerrat eine Version durchgewunken, die nur marginale Verbesserungen enthielt.

In der Zwischenzeit hatten wir unsere Kampagne hochgefahren. Demos in Innsbruck, Linz und Wien hatten die ersten paar Tausend Unterzeichnerinnen und Unterzeichner unserer Petition auf www.staatsschutz.at gebracht. (Heute stehen wir bei mehr als 17.000.) Das Gesetz wurde dann nicht mehr, wie ursprünglich geplant, vor der Sommerpause verabschiedet. Offensichtlich wollte man doch noch einmal darüber nachdenken. Und wir wollten, dass dieses Nachdenken auch unter Einbindung der Öffentlichkeit geschieht.

Die Lücke füllt sich

Für den 1. Oktober 2015 hatten wir alle Sicherheitssprecher der im Nationalrat vertretenen Parteien zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Die Regierungsparteien zierten sich zunächst. Schließlich kam dann doch die Zusage aus dem Innenministerium, dass Sektionschef Peter Andre die Sicht des Ministeriums einbringen werde. Auch von der SPÖ kam dann noch ganz kurzfristig eine Zusage: Justizsprecher Johannes Jarolim nahm am Podium Platz, übte ebenfalls Kritik am bestehenden Entwurf und verwies auf einen laufenden Diskussionsprozess innerhalb seiner Partei. Das erklärte auch, warum die Beschlussfassung des Gesetzes ein zweites Mal verschoben worden war. Viele hatten damit gerechnet, dass diese Mitte Oktober erfolgen sollte.

Heute stehen die Chancen gut, dass das Staatsschutzgesetz in der bisher geplanten Form nicht beschlossen wird. Wir haben alle Nationalratsabgeordneten mit einem umfangreichen Infopaket versorgt und es scheint, als würden immer mehr unserer Argumentation folgen. Es gibt auch immer mehr Institutionen, die unsere Kampagne unterstützen.

Vor allem aber werden wir noch dieses Jahr unser Projekt HEAT abschließen. Damit wird es möglich sein, die Lücke der Unwissenheit mit einer faktenbasierten Diskussion über ein Staatsschutzgesetz oder ähnliche Vorhaben zu führen.

Bis dahin brauchen wir Unterstützung. Im einfachsten Fall ist das eine Unterschrift unserer Petition auf www.staatsschutz.at. Im allerbesten Fall ist das Mitarbeit beim AKVorrat oder finanzielle Unterstützung. (Siehe dazu: „AKVorrat bittet um Spenden“)

*) Werner Reiter, Mitglied des AKVorrat, Kommunikationsberater, Hobbymyrmekologe, Blog: https://blog.werquer.com

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One Response to Der Staatsschutz und die Lücke der Unwissenheit

  1. Rudolf T.Z. Scheu 15. Oktober 2015 at 15:00 #

    Ich habe 2011 nach den Breivik-Anschlaegen an einen Journalisten geschrieben (E-mail), warum man sich wundert, wenn geduldet wurde:

    „Am Fr. 19.5.2006 wurde von Radio Antenne Salzburg in den
    19-Uhr-nachrichten ein hoher BZOe-funktionaer (ich glaube, es war der
    burgenlaendische Spitzenkandidat) gefragt, wer BZOe-obmann wird.
    Antwort: das wird zum gegebenen Zeitpunkt bekanntgegeben und: „Kommt
    Zeit, kommt Rat, kommt ATTENTAT“.“

    Daraufhin hat der Journalist mein E-mail an den Verfassungsschutz
    weitergeleitet: _er_ fuehlt sich von _mir_ bedroht. Folge: der
    Verfassungsschutz rief bei mir an und teilte mir das mit. Und: es
    koennte noch Konsequenzen fuer mich haben … Habe aber seither nichts
    mehr gehoert. Doch die Ungewissheit bleibt …

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