In der ganzen Aufregung rund ums Bankgeheimnis, die Flüchtlings-Zelte, die Festplattenabgabe, die FPÖ-Zugewinne bei den Landtagswahlen und einen wildgewordenen SPÖ-Landeshäuptling, der alles macht um seinen eigenen Job zu behalten ist ein bisher prominent öffentlich diskutiertes EU-Thema aus dem Blickfeld geraten. Die S&D-Fraktion hat einem wohlwollenden Bericht zum Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) zugestimmt. Ein Fehler, auch von Jörg Leichtfried.
Eva Maltschnig
Beim transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP hat der Handelsausschuss des EU-Parlaments eine Stellungnahme beschlossen. In ihr sind nach wie vor Wege vorgesehen, die Investoren ermöglichen, Staaten zu klagen wenn sie finden, dass ihre Interessen durch Gesetze (etwa Umwelt- und Gesundheits-Regeln) behindert werden. Der Ausschuss hat einen “reformierten Investorenschutz” befürwortet. Was das heißt ist nicht klar, ein “internationales Investorengericht” könnte an die Stelle privater Schiedsverfahren treten. Dieser hätte dennoch das Recht, zwischen Unternehmensinteresse und öffentlichem Interesse abzuwägen. Das Ganze weit entfernt von potenziellen Betroffenen. Die Stimme von Jörg Leichtfried, S&D-Abgeordneter aus Österreich und Fraktionsführer der roten Österreich-Delegation in Brüssel war mit ausschlaggebend für den Beschluss dieser Stellungnahme.
Warum ausgerechnet er? Warum ist ausgerechnet ein SPÖ-Parlamentarier eingeknickt? Österreich ist eines der größten Widerstandsnester gegen Konzernklagsrechte im Freihandelsabkommen, Werner Faymann ein prononcierter Gegner derselben. Nun, Leichtfried findet nicht dass er eingeknickt ist. Auf seiner Website schreibt er, dass er den beschlossenen Bericht als einen wichtigen Schritt weg von privaten Schiedsgerichten sieht. Auf seiner Facebook-Seite schreibt er sinngemäß, er habe einem schlechten Kompromiss im Handelsausschuss zugestimmt, weil eine progressivere Position im Parlamentsplenum zu erwarten sei.
Genauso wie eine Verschärfung von Asylgesetzen nicht “besser” wird, wenn Linke für ein, zwei, “Deals” mitstimmen, bedeutet hier ein Ja die Aufgabe einer sozialdemokratischen Grundsatzposition für ein leises “möglicherweise”. Dem gegenüber steht bei TTIP politisch folgende Situation: Aufmunitionierte Wirtschaftslobbys werden jede Möglichkeit nützen, über das Freihandelsabkommen lästige Regulierungen loszuwerden. Von manchen PolitikerInnen gibt es dagegen Abwehrbemühungen, dabei verlieren sie aber folgendes aus den Augen: Es gibt viele gute Gründe, gegen das transatlantische Freihandelsabkommen zu sein.
- Nach wie vor ist nicht klar, ob bzw. wie weit das Abkommen öffentliche Dienstleistungen betrifft.
- Es ist nicht klar, wie sehr es die Möglichkeit der Öffentlichen Hand für qualitativ geleitete Vergabekriterien einschränken wird.
- Es ist nicht klar, welche Auswirkungen es auf Umwelt- oder Gesundheitsstandards haben wird.
- All das ist nicht klar, weil im Wesentlichen geheim verhandelt wird. Niemand kennt den Vertragstext, oder den Stand der Verhandlungen genau. Niemand weiß, wo das Abkommen am Ende ratifiziert werden soll. Reicht das EU-Parlament oder braucht es auch nationale Parlamente dazu?
- Um Investor-State-Dispute-Settlements (ISDS), also Schiedsgerichte zur Streitbeilegung zwischen Unternehmen und Staaten, dreht sich der Hauptteil der Kritik. Diese können die Souveränität von Staaten und ihrer Bevölkerung unterwandern. Einen sehenswerten Vorgeschmack darauf, was bei ISDS blüht, lieferte der US-Komiker John Oliver.
- Das alles soll man für einen Konjunktureffekt von 0.05 Prozentpunkten zusätzlichem Wachstum pro Jahr (und das ist noch das positive Szenario!) in Kauf nehmen. Dieses “gratis Konjunkturpaket”, wie es die Kommission zu verkaufen versucht, ist selbst in den optimistischsten Berechnungen winzig klein. Dabei berücksichtigt keines der ökonomischen Berechnungsmodelle etwaige Kosten des Abkommens, würde man das tun, bliebe vom mikroskopischen Wachstumsbeitrag gar nichts mehr übrig.
Es gibt keinen einzigen Grund, für dieses Abkommen zu sein. Und dafür soll man taktieren? Das Ziel von Freihandelsabkommen ist in erster Linie, “nicht-tarifäre Handelshemmnisse” – also Handelshemmnisse abseits von Zöllen – abzuschaffen. Gemeint sind dabei Regeln, die den Marktzugang erschweren: strengere Umweltauflagen, einzuhaltende Menschrenrechts-Standards und so weiter. Beim Kampf gegen TTIP geht es nicht nur um technische Details (obwohl die in einem Verhandlungsverfahren natürlich über Sieg oder Niederlage entscheiden können). Es geht darum, ob wir alles was wir tun der Logik von Handelsbeziehungen und damit den Interessen von Unternehmen unterordnen möchten. Freihandelsabkommen bieten die perfekte Bühne für Konzernlobbyisten, Gipfeldiplomatie hinter Bannmeilen und legen ein stabiles Fundament für marktliberale Politik auf unteren Ebenen. Freihandelsabkommen sind der Klassiker unter den neoliberalen Polit-Projekten.
Zum Glück hatte Fred Sinowatz nicht immer Recht, als er sagte “es ist alles sehr kompliziert”. TTIP ist nicht kompliziert – vor allem nicht, wenn man es politisch betrachtet. TTIP braucht kein Mensch, TTIP brauchen nur Unternehmen.
No comments yet.