Alle fassungslos

Ich weiß nicht, ob ich in meinem Browser aus Versehen einen Filter eingeschaltet habe, aber selbst nach Recherche finde ich nur eine einzige Reaktion zu den Ereignissen in der Eurokrise der letzten Tage: Fassungslosigkeit. Alle sind fassungslos über die Ankündigung des griechischen Referendums. Dijsselbloem, Schäuble, Juncker, Schulz, Steinmeier, Faymann, usw.. Alle sind fassungslos. Das macht mich fassungslos.

Tobias Schäfer*

Nur um das mal festzuhalten: die Ankündigung einer Volksabstimmung, bei der es nicht nur um einen Bahnhof, um ein Rauchverbot oder andere läppische Themen geht, sondern um die existentiellen Strukturen eines Landes, ist tabu. Oder um es mit Dijsselbloem zu sagen: “Auch die Botschaft eines Referendums ist sehr negativ”. Demokratie? Wurscht, bitte nicht übertreiben.

Kann man sich nicht ein bisschen mehr Mühe geben, wenn man schon ein Referendum, eine Urform der Demokratie, vom Tisch wischen will?

Die griechische Regierung ist mit ihrem Vorhaben, die aufgezwungene Austeritätspolitik zu beenden, keinen Millimeter bei der Eurogruppe durchgekommen. Sie ist aber genau dafür angetreten und gewählt worden.
Was kann man machen, wenn man nichts, aber auch wirklich gar nichts substanzielles erreicht? Mir fallen nur drei Möglichkeiten ein: das Ziel aufgeben, zurücktreten oder nach demokratischen Druckmitteln suchen. Ersteres hätte Syriza mit einem Schlag auf eine Ebene mit ihren Vorgängern gesetzt. Diese sind, nach Jahrzehnten an der Macht, genau dafür auf das politische Abstellgleis gewählt worden. Für die Wähler bieten sich als Alternative dann nur noch die Nationalisten an. Die zweite Möglichkeit, nun ja, das wird sicher der ein oder andere im Stillen überlegt haben, hängt aber von dem Ehrgeiz der Regierung ab. Bleibt noch die letzte Möglichkeit, nach Strategien zu suchen, welche die Verhandlungsposition verbessern und die demokratische Legitimation unterstreichen. Zum Beispiel ein Referendum.

Man kann unterschiedlicher Meinung über die Geschicktheit oder Angemessenheit dieser oder jener Ankündigungen und Verhaltensweisen sein. Aber den für viele scheinbar logischen Automatismus, mit der Ankündigung eines Referendums seien allen Verhandlungen beendet, will mir nicht einleuchten. Denn es wird genau über Angebote aus den Verhandlungen abgestimmt.

Es wird mit dem Referendum dem griechischen Volk keine unangemesse Macht gegeben, über vermeintliche Hilfen der anderen EU Länder einfach zu verfügen. Bei einem Ja werden nur die bereits angebotenen Vorschläge in Anspruch genommen. Und ein Nein ist ein passives Votum, dass keine neuen konkreten Forderungen stellt, sondern nur die Maßnahmen ablehnt, die mit dem Angebot verbunden sind, sodass neu verhandelt werden muss oder Griechenland leer ausgeht.

Der emotionale Zustand mancher Verhandler in allen Ehren, aber ich denke nicht, dass das entscheidend sein darf. Es gab schon einige fragliche Referenden, bei denen sich Regierungen nur aus der Verantwortung des Entscheidens stehlen wollten. Dieses gehört, wenn es fair abläuft, meiner Ansicht nach nicht dazu. Im Gegenteil, es könnte eine Chance sein, dem griechischen Volk das Gefühl zu geben, nicht gänzlich übergangen zu werden, bevor sich zu viele im Gefühl der Machtlosigkeit und Fremdbestimmung vergraben.

*Tobias Schäfer ist Physiker und Mitglied der Sektion 8 der SPÖ Alsergrund.

Der Beitrag ist ursprünglich auf tobblogg erschienen https://tobblogg.wordpress.com/2015/06/29/alle-fassungslos/

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