Wien will wählen! Wahlrecht, für alle die hier leben

Jeder vierte Wiener, jede vierte Wienerin im wahlfähigen Alter darf bei den Gemeinderatswahlen im Herbst nicht wählen. Ihnen fehlt der österreichische Pass, den man in der Bundeshauptstadt für das Wahlrecht benötigt. Die Stadt wächst, und mit ihr ihre internationale Bevölkerung. Die Legitimation für die Politik und ihre gewählten VertreterInnen wird kleiner, das Demokratiedefizit größer. Es ist höchste Zeit, endlich allen WienerInnen Mitbestimmungsrechte über ihre Stadt zu geben.

Eva Maltschnig

Wer mich einmal reden hört weiß: Ich bin eine dieser Bundesländer-Flüchtlinge. Geboren und aufgewachsen im wunderschönen Zell am See hab ich mich nach der Schule entschieden, nach Wien zu gehen um mein Studium zu beginnen. Salzburg war zu kleinbürgerlich, Innsbruck zu föhnig und eingeklemmt zwischen den Bergen, Wien irgendwie aufregend, weil Großstadt = Freiheit. Noch immer bin ich glücklich mit der Entscheidung, hier zu leben. Zum Glück darf ich hier auch den Gemeinderat wählen. Käme ich von ein paar hundert Kilometern weiter weg und hätte mit einem anderen Pass die genau gleiche Entscheidung getroffen, ich dürfte es nicht.

Ohne österreichische Staatsbürgerschaft darf man in Wien in Kindergarten, Schule und Uni gehen, U-Bahn fahren, Miete zahlen, arbeiten, einkaufen oder Kinder großziehen. Wer trotz fremdem Pass in Wien hauptgemeldet ist, sorgt dafür, dass Steuergelder nach Wien fließen – die im Finanzausgleich festgelegte „Volkszahl“ kennt nur Hauptwohnsitze, keine Staatsbürgerschaft. Gebühren zahlen sowieso alle. Wofür das Geld allerdings verwendet wird, darüber darf nur das Staatsvolk entscheiden.

Über Einbürgerungsgesetze bestimmt im Nationalrat eine einfache Mehrheit, und diese hat sich 2006 für eine der restrektivsten Staatsbürgerschaftsgesetze in der gesamten EU entschieden. Man muss lange hier sein und Geld haben, um für eine Einbürgerung in Frage zu kommen. Der Effekt dieser Regelung für die Einbürgerungszahlen in Wien ist nicht zu übersehen:

Quelle: https://www.wien.gv.at/statistik/bevoelkerung/einbuergerung/

Ein Vorstoß Wiens, der auch Nicht-EU-BürgerInnen Wahlrecht für die Bezirksvertretungen gegeben hätte, wurde 2004 vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben. Weil Wien Land und Gemeinde gleichzeitig ist, dürfen im Gegensatz zum Rest Österreichs, auch bei der Gemeinderatswahl nur StaatsbürgerInnen wählen. Um das zu ändern, braucht es Verfassungsmehrheiten. Eine einfache Mehrheit reicht also aus, um das Wiener Wahlvolk zu verkleinern, während eine Zweidrittelmehrheit zur Ausweitung des Wahlrechts nötig ist. Währenddessen fällt die Schere zwischen der Wohnbevölkerung und dem Souverän in Wien immer weiter auseinander. Der demokratische Grundsatz, dass jene die von Regeln betroffen sind, diese auch mitgestalten können, hält in Wien ganz banal den Zahlen nicht Stand.

Das Wahlrecht hat sich historisch gesehen nie deshalb ausgeweitet, weil jemand höflich darum gebeten hat. Ganz im Gegenteil, die Abkehr vom Zensuswahlrecht hin zu einem allgemeinen Wahlrecht war eine der großen Kampfprojekte der ArbeiterInnenbewegung in Österreich. Der amerikanische Voting Rights Act von 1965, der Diskriminierung von Afro-AmerikanerInnen im Wahlrecht bekämpfte, war einer der größten Erfolge der gigantischen Bürgerrechts-Bewegung. Seit dem kleinen Anlauf in den 2000ern, auf Bezirksvertretungs-Ebene die Wahlbevölkerung auszuweiten, hat sich in Wien nicht mehr viel getan. Die Wiener SPÖ ist zwar seit 20 Jahren für eine Änderung, aber ohne Einsatz wird das nicht gelingen.

Als Sektion Acht möchten wir mehr Einsatz, von unserer Partei und uns selbst. Auf unserem Mai-Transparent steht darum dieses Mal die Forderung „Wahlrecht, für alle die hier leben!“, weil der Ausschluss eines Viertels der hier lebenden Leute bei den Gemeinderatswahlen im Herbst eine unerträgliche Ungerechtigkeit ist. Warum sollte eine eingeborene Wienerin mit österreichischem Pass mehr Recht haben, die Stadt mitzugestalten, als eine Person die sich aktiv für diese Stadt als Lebensmittelpunkt entschieden hat, aber einen ausländischen Pass besitzt? Warum dürfen in Wien Geborene nicht wählen, wenn sie eine andere Staatsbürgerschaft haben?

Wer hat Interesse an dieser Ungerechtigkeit? Die, die dabei viel zu verlieren haben, wie die ÖVP zum Beispiel. Für Sebastian Kurz ist die Erlangung der Staatsbürgerschaft ein „Goodie„, keine Frage der demokratischen Beteiligung.  Rechnet man die Wahlergebnisse 2010 auf  eine ausgeweitete WählerInnenschaft um, stünde es um den Rückhalt der Wiener ÖVP wohl nicht sehr rosig: „Parteien von der schnuckeligen Größe der Wiener ÖVP [sind] überhaupt nur von einem Sechzehntel legitimiert.“, schreibt Daniela Kittner im Kurier. Außerdem haben jene Leute Interesse an einem restriktiven Wahlrecht, die Politik auf dem Rücken der ausgeschlossenen Gruppen machen. Wer gegen Ausländer hetzt muss in Wien keine Angst haben, von ihnen bei den Wahlen abgestraft zu werden, denn sie dürfen ja nicht wählen. Eine Inklusion aller Menschen die hier Leben in die Wahlbevölkerung würde damit endlich Schluss machen – nebenbei bemerkt wäre das auch ein heilsamer Effekt für Teile der SPÖ.

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