Anlässlich der 16 Tage gegen Gewalt an Frauen bloggen wir jeden Tag zum Thema Frauen, Feminismus und Gleichberechtigung. Tag 3: Gewaltdefinitionen und Formen von Gewalt gegen Frauen
Johanna Edthofer*
Gewalt gegen Frauen ist ein facettenreiches Phänomen, das in unterschiedlichen Formen auftritt: von körperlicher, sexueller und psychischer und ökonomischer Gewalt bis hin zu Stalking und sexueller Belästigung. Darüber hinaus kommt sie sowohl im öffentlichen als auch im privaten Raum vor.
Eine weit verbreitete Definition für geschlechtsspezifische Gewalt ist in Artikel 1 und 2 der „Deklaration über die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“ (1993) der Vereinten Nationen zu finden (vgl. Declaration on the Elimination of Violence against Women/1993):
„Der Begriff Gewalt gegen Frauen bezeichnet jede gegen Frauen auf Grund ihrer Geschlechtszugehörigkeit gerichtete Gewalthandlung, durch die Frauen körperlicher, sexueller oder psychischer Schaden oder Leid zugefügt wird oder zugefügt werden kann, einschließlich der Androhung derartiger Handlungen, der Nötigung und der willkürlichen Freiheitsberaubung, gleichviel ob im öffentlichen oder im privaten Bereich.“
Für die zweite Frauenbewegung war es ein zentrales Anliegen, einen möglichst weit gefassten, feministischen Gewaltbegriff zu etablieren. Eine nützliche Differenzierung, um Gewalt gegen Frauen in all ihren Ausprägungen zu erfassen, wurde dabei vom schwedischen Friedensforscher Johan Galtung übernommen. Galtung unterscheidet zwischen direkter, personeller Gewalt und indirekter, struktureller Gewalt. Personelle Gewalt ist die feindliche Auseinandersetzung zwischen zwei handelnden AkteurInnen, während strukturelle Gewalt sich in gesellschaftlichen Ungleichheits- und Machtverhältnissen äußert. (vgl. Galtung, 1975)
Demzufolge sind aus der Perspektive eines feministischen Gewaltbegriffes nicht nur direkte Gewaltakte, wie etwa Vergewaltigung, körperliche und psychische Gewalt, sondern auch die gesellschaftliche Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen als Formen von Gewalt aufzufassen.
Patriarchale gesellschaftliche Strukturen begünstigen Männer und behindern Frauen. Dieser Umstand manifestiert sich in vielen unterschiedlichen Bereichen, wie z.B. den schlechteren Berufsaussichten von Frauen (weniger Frauen in Führungspositionen), dem teilweise daraus resultierenden durchschnittlich geringerem Einkommen von Frauen (Feminisierung der Armut) sowie der überdurchschnittlichen Vertretung von Frauen in Berufen, die von der Gesellschaft als weniger wertvoll betrachtet und demnach schlechter entlohnt bzw. unbezahlt verrichtet werden (Pflege, Kindererziehung etc.).
Patriarchale Gesellschaften basieren überdies auf der Konstruktion von Frauen als (sexuelle) Objekte und männlicher Besitz. Das äußert sich in häufigen sexistischen Darstellungen von Frauen am einen Ende des Spektrums und reicht über „Ehrenmorde“ oder „Morde aus Leidenschaft“ bis hin zum Einsatz von Vergewaltigung als Kriegsstrategie in Kriegen und bewaffneten Konflikten am anderen Ende des Spektrums.
Ein feministischer Gewaltbegriff sieht geschlechtsspezifische Gewalt als Ausdruck von Herrschaftsverhältnissen. Individualisierende Erklärungen für Gewalt an Frauen werden abgelehnt bzw. immer im gesellschaftlichen Kontext patriarchaler Herrschaftsstrukturen verortet.
Auch in der UN-Deklaration über die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen wird auf den Aspekt der strukturellen Gewalt gegen Frauen hingewiesen:
„Gewalt gegen Frauen ist die Manifestation der historisch gewachsenen Machtungleichheit zwischen Männern und Frauen, die zur Dominanz der Männer über Frauen, zur Diskriminierung und Behinderung von Frauen geführt hat. Gewalt ist einer der entscheidenden sozialen Mechanismen, durch den Frauen in einer untergeordneten Position gehalten werden.“ (vgl. Declaration on the Elimination of Violence against Women/1993)
Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen
Gewalt an Frauen in all ihren oben vorgestellten Ausprägungen ist aus feministischer Perspektive also in den asymmetrisch-patriarchalen gesellschaftlichen Strukturen verankert. Um Gewalt gegen Frauen effektiv und nachhaltig zu bekämpfen ist es folglich notwendig, nicht nur die individuellen Ausprägungen von Gewalt durch konkrete Maßnahmen einzudämmen, sondern letztlich auch die patriarchalen Herrschaftsstrukturen selbst zu verändern.
In ihrer diesjährigen Rede zum 20-jährigen Bestehen des Postens der UNO-Sonderberichterstatterin über Gewalt gegen Frauen weist auch Rashida Manjoo darauf hin, dass vor allem das Fehlen eines „holistischen Ansatzes“ die weltweite Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen behindere. Im Rahmen eines holistischen Ansatzes müssten individuelle, institutionelle und strukturelle Faktoren von Gewalt gegen Frauen und Mädchen gleichzeitig angegangen werden. Auch der Staat habe die Verantwortung, Gewalt gegen Frauen sowohl auf individueller Ebene – z.B. durch adäquaten Opferschutz und Bestrafung der Täter – als auch auf systemischer Ebene zu bekämpfen (vgl. Rashida Manjoo zu 20 Jahre UNO-Sonderberichterstatterin über Gewalt gegen Frauen, 2014).
Einen ähnlichen, ganzheitlichen Ansatz verfolgt die feministische Arbeit gegen Gewalt an Frauen. Sie erschöpft sich nicht in der reinen Reaktion auf Gewalttaten und dem Opferschutz, sondern definiert drei Ebenen der Präventionsarbeit: Die primäre Prävention, die bewusstseinsbildende und sensibilisierende Maßnahmen vorsieht, welche das Ziel verfolgen, die Entstehung von gewaltbegünstigenden Strukturen zu verhindern. Die sekundäre Prävention, bei der es um die individuelle Hilfe geht und schließlich die tertiäre Prävention, bei der therapeutische Maßnahmen der Behandlung und die Verhinderung weiterer Gewalttaten im Mittelpunkt stehen.
Abschließend lässt sich sagen, dass Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen innerhalb patriarchaler Ungleichheitsstrukturen zwar dringend notwendig sind, aber über eine symptomatische Behandlung des Problems wohl niemals hinausgehen werden.
Quelle u.a.
Johan Galtung, Strukturelle Gewalt. Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung (1975)
* Johanna Edthofer hat Politikwissenschaft in Wien und Paris studiert und sich schwerpunktmäßig mit Frauen- und Geschlechterstudien befasst. Sie arbeitet derzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektmanagerin im Bereich europäische Politik und europapolitische Bildung.
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