VIE-BXL (8): Europa und der ewige Frieden

VIE-BXL ist eine Serie von Beiträgen am Blog 8 im Vorfeld der Europawahlen 2014.

Eugen Pfister und Sophie Wollner

EU-and-dove-logo„Was ist Europa?“ Europa wird sowohl im Feuilleton als auch in Wahlkampfreden zu allererst als erfolgreiches „Friedensprojekt“ präsentiert. Mit dem exklusiven Rückgriff auf den Friedensaspekt der Europäischen Integration machen es sich die (wohlmeinenden) europäischen StimmungssmacherInnen aber zu einfach. Europa ist mehr als Frieden – es muss mehr sein als das.

Inhalt

Immer wieder beschworen: „Friedensprojekt Europa“

EU-BefürworterInnen bilden naturgemäß keine homogene Masse. Sie kommen aus den unterschiedlichsten politischen Lagern. Oft trennen sie politische Überzeugung und gesellschaftlicher Hintergrund und das Friedensargument ist häufig ihr kleinster gemeinsamer Nenner. Auch wenn über die sonstigen Errungenschaften der europäischen Integration Dissens herrscht, zumindest auf eines kann man sich immer einigen: Die EU und ihre Vorläuferinnen brachten dem Kontinent ein halbes Jahrhundert Frieden. Und so vergeht kein Tag – so scheint es zumindest manchmal – ohne dass zumindest eine größere europäische Tageszeitung das Begriffspaar „Friedensprojekt Europa“ benutzt. (z.B. Der Westen). Im Rahmen des Europawahlkampfes werden wir deshalb noch öfter Anrufungen des europäischen Friedens zu hören bekommen. Dass dieses Argument selbst bis zur Bezirksebene von PolitikerInnen verinnerlicht wurde bewies zuletzt beispielsweise der ÖVP-Bezirksobmann von Tulln in den Niederösterreichischen Nachrichten: „Es muss hervorgehoben werden, dass es sich bei der EU um ein einzigartiges Friedensprojekt handelt. Bei den Details gibt es vielleicht so manche Widersprüche, aber die große Idee für sich ist gut.“

Es scheint so, als ob der Frieden immer dann erwähnt wird, wenn einem Redner bzw. einer Rednerin sonst keine Argumente für Europa mehr einfallen. Zugleich ist es vielen zur Gewohnheit geworden, egal auf welche Vorwürfe von EU-KritikerInnen, mit einem Verweis auf den friedenstiftenden Aspekt zu kontern. Nicht nur dass so einige fruchtbare Diskussionen im Keim erstickt werden, man läuft auch Gefahr, das Friedensargument durch seinen inflationären Gebrauch zu entwerten. In diesem Sinne wollen wir auch nicht ein halbes Jahrhundert Frieden in Frage stellen, es ist uns nur ein Anliegen dem „europäischen Frieden“ wieder mehr Belang zu geben, das immer konturlosere Argument „für Europa“ wieder aufzuwerten. Die Garantie ein Leben in Frieden verbringen zu können ist eines der kostbarsten Güter der europäischen Integration und sollte nicht durch unüberlegte Phrasen entwertet werden. Im Folgenden wollen wir deswegen mit zwei Problemen des Friedensarguments aufräumen und darauffolgend zwei Perspektiven für eine zukunftsträchtige Friedensgemeinschaft Europa anbieten.

Die Anfänge der europäischen Integration argumentierten nicht mit Frieden

Es geht also nicht darum undankbar zu sein, sondern darum möglichst überzeugende Argumente für eine weitere Vertiefung und Demokratisierung der EU zu finden. Es lohnt sich ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der europäischen Gemeinschaften. Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte europaweit und unabhängig von Geschlecht und Klasse Konsens darin, dass übertriebener Nationalismus zum Krieg geführt hätte und dass eine transnationale Integration der einzige Garant für Frieden auf dem Kontinent wäre. Umfragen zeigen, dass unmittelbar nach dem Krieg die Befürwortung für die „Vereinigten Staaten von Europa“ am höchsten war [1]. Doch der Europarat, der als explizites Friedensprojekt gegründet worden war scheiterte kolossal an wiederaufkeimenden nationalen Machtüberlegungen – insbesondere Großbritanniens, dessen PolitikerInnen nicht bereit waren sich in ihrer „Großmachtspolitik“ von einer demokratischen europäischen Versammlung einschränken zu lassen. Als Antwort auf dieses Scheitern entstand auf Bestreben Frankreichs, Deutschlands, Italiens und der Benelux-Staaten die Montanunion, in deren Gründungsdokument der Friedenserhalt eben nur ein Argument unter vielen war. Das spiegelte sich auch in der Berichterstattung wieder. In den europäischen Wochenschauen (die Nachrichtenwochenschauen in den Kinos erreichten damals eine Reichweite von 20-50% der Bevölkerung) der 1950er Jahre spielte das Friedensargument keine Rolle. Stattdessen wurde über den Bau von Arbeiterheimen, vereinfachten Grenzübergängen und der Angleichung von Sozialkosten (und zwar nach oben) berichtet. Der Europarat war mit dem Anspruch einberufen worden, die endgültige Antwort auf den Krieg zu sein. Doch selbst damals, wenige Jahre nach dem Krieg dürfte das Friedensargument nicht gereicht haben um nationale Egoismen zu überwinden.

Ein Generation Gap

Dass abgesehen davon ein Besinnen auf fünfzig Jahre Frieden bei der Bevölkerung nicht immer so gut ankommt, wie von den PolitikerInnen erwartet, zeigen jüngste Umfragen: Nur fünf Prozent der ÖsterreicherInnen nennen die Friedenspolitik und die Vermeidung von Kriegen in Europa spontan als zentralen Aspekt der EU. Hier zeigt sich ein weiteres Spannungsfeld im Friedensdiskurs – der Generation Gap: Menschen die selbst den/die Kriege des 20. Jahrhunderts am eigenen Leib schmerzhaft miterfahren haben, ebenso wie die erste Nachkriegsgeneration, die in den Trümmerhaufen nationalistischer Allmachtsphantasien aufwachsen musste, können mit dem Wert von Frieden konkret etwas anfangen. Gleichzeitig meint eben dieser historische Rekurs auf das „Friedensprojekt“ Europa nicht jene Kriege und Krisen, wie beispielsweise am Balkan, die große Teile der Bevölkerung in Österreich miterlebt haben und die wir als Gesellschaft auch verarbeiten müssen. Für eine Generationen die nicht im Geist des Wiederaufbaus der Nachkriegszeit aufgewachsen ist oder die eben selbst Krieg – wenn auch nicht auf österreichischem Boden – erlebt haben ist der friedensstiftende Moment Europas ein Teil der Geschichte aber nicht alleinige und wichtigste Identität Europas.

Eine aktive europäische Friedenspolitik

Das bringt uns zu einem Zukunftspotenzial der europäischen Friedensgemeinschaft. Es wäre ein Irrglaube zu denken, dass in alle Zukunft Frieden auf dem ganzen Kontinent herrschen würde. Das Friedensargument darf sich nicht länger auf die passive Garantie eines inneren Frieden beschränken, sondern sollte sich zu einer aktiven Friedenspolitik weiterentwickeln. Die Notwendigkeit einer solchen wird uns gerade eben in der Ukraine, also direkt an der EU-Außengrenze drastisch vor Augen geführt. Vor mittlerweile zwanzig Jahren war die EU kläglich daran gescheitert einen Massenmord inmitten des Kontinents zu verhindern. Im sogenannten Jugoslawienkrieg wurde uns auf brutalste Art und Weise die Ohnmacht einer europäischen Außenpolitik bewiesen. Statt dass sich das Friedensprojekt Europa aktiv für die Friedenssicherung am Balkan einsetzte, machten die unterschiedlichen außenpolitischen Agenden der EU-Mitgliedstaaten ein gemeinsames Eintreten für friedliche Lösungen unmöglich.

Europa als „Soziales Friedensprojekt“

Es ist unbestreitbar, dass die sich ständig vertiefende Integration der europäischen Länder nationalistische Kriege innerhalb der Union tatsächlich unvorstellbar gemacht haben. Die globale Anerkennung dafür zeigte sich nicht zuletzt im 2012 verliehenen Friedensnobelpreis an die Europäische Union. Zugleich versteht sich die europäische Union aber auch als Garant für inneren Frieden. Die Aufnahme ehemals autoritär regierter Staaten in den Bund habe – so das geläufige Narrativ –blutige Bürgerkriege verhindert. So in Spanien, Portugal und Griechenland. Auch für die vergleichsweise rasche Aufnahme der osteuropäischen Staaten spielte dieses Argument eine gewichtige Rolle. Darauf aufbauend sollten wir uns aber jeden Tag aufs Neue die Frage stellen, wie wir in Europa mit diesem Frieden umgehen wollen. Haben wir beispielsweise einen politischen Fahrplan, damit auch sozialer Frieden nachhaltig möglich ist? Und da berühren wir plötzlich nicht nur außenpolitische sondern auch ökonomische Fragen, wie z.B. die Frage, wer auf dem Weg zum „wettbewerbsfähigen“ Europa profitiert und wer verliert. Wie gehen wir mit der sich wieder vergrößernden Schere zwischen Arm und Reich um, um auch in Zukunft den inneren Frieden gewährleisten zu können?

Der Frieden den die europäische Einigung gebracht hat mag ein Identifikationsmoment sein, aber immer häufiger ist es so, dass sich PolitkerInnen und MeinungsbildnerInnen in der heutigen Debatte aus Verlegenheit auf dieses Moment zurückziehen und sich im Ringen um europäischen Fortschritt und im Kampf um die „richtigen“ Politiken für die „richtigen“ Interessensgruppen bzw. BürgerInnen ein Rückzugsgefecht führen. Die Besinnung auf fünfzig Jahre europäischen Frieden ist ein bequemes Argument, denn wenn die Lebensbedingungen so hart werden, dass sich Kritik der BürgerInnen gegen undurchsichtige politische Prozesse richtet, die Spannungen immer stärker werden, scheint es einfach, den Frieden herzuzitieren anstatt über aktuelle politische Lösungen zu diskutieren und sie auch umzusetzen.

Hinweise

[1] Siehe Elisabeth Noelle und Erich Peter Neumann (Hg.): Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1947-1955, Allenbach: Verlag für Demoskopie 1956, Seite 339

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One Response to VIE-BXL (8): Europa und der ewige Frieden

  1. punto 22. April 2014 at 08:24 #

    Angesichts der derzeitigen EU-Politik in der Ukraine, die dazu führte, dass sich faschistische Verbrecher an die Macht geputscht haben und eines Herrn Martin Schulz, der die Kiewer „Führung“ demokratisch legitimiert findet, finde ich keine öffentlich verwendbaren Worte für die Politik der EU.

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