Diese Woche hatte ich das Vergnügen bei einer Veranstaltung der Sektion Granum Humanum, einer Betriebssektion der BBRZ-Gruppe in Linz, eingeladen zu sein. Gemeinsam mit Sonja Ablinger hatte die Sektion reformorientierte Kräfte in der SPÖ (hauptsächlich aus OÖ) zusammengetrommelt. Dabei hatte ich die Gelegenheit Fragen zu diskutieren die auch für die Sektion 8 gerade virulent sind, allen voran die Chancen und Möglichkeiten einer bundesweiten Vernetzung kritischer Kräfte in der SPÖ.
Zu Beginn der vierstündigen Diskussion wurden verschiedene Modelle der Ausübung von Einfluss in Parteien durchdekliniert. Der berühmte Marsch durch die Institutionen wie ihn die 1968er-Generation im Auge hatte suggeriert, dass es durch gezielte und koordinierte Anstrengungen möglich sei, zentrale Machtpositionen in Partei, Klub und Regierung zu besetzen und dadurch eine gesamtgesellschaftliche Diskurshoheit zu erringen. Bei allem Respekt für die gesellschaftspolitischen Errungenschaften dieser Generation war sich die Gruppe einig, dass dieser Ansatz politisch letztlich gescheitert ist. Die ProtagonistInnen sind nach oben gekommen ohne dabei das Unten zu ändern, sie haben also die Strukturen der Partei nicht verändert sondern einfach die vorhandenen übernommen. Dabei haben sie im Laufe der Zeit die Machtlogik internalisiert. Sowohl Schröder-Fischer in Deutschland als auch Cap-Gusenbauer in Österreich sind eindrucksvolle Beispiele dafür, dass das Amt die Leute mehr verändert als die Leute das Amt.
Eine alternative Strategie zum Marsch durch die Institutionen ist ein struktureller Ansatz: Demgemäß ist ein Politikwechsel nur möglich, wenn nicht um politische Ämter (Mandate, Regierungsämter) sondern um die Partei gekämpft wird. Mehrere Zellen müssen gemäß dieser Strategie den Marsch durch die Strukturen ganz unten beginnen und Struktur für Struktur besetzen. Diese Mehrheiten müssen mit den Methoden bürokratischer Machtkämpfe mühselig ausfraktioniert werden. Doch auch diese Vorgehensweise hat erhebliche Schwächen. Es handelt sich nämlich um die Logik bürokratischer Macht durch die Hintertür, wird sich die Gruppe rasch einig. Wir würden unsere Energien darauf verschwenden, uns mit den eigenen Leuten herumzuschlagen, anstatt um die Meinungshegemonie in der Bevölkerung zu kämpfen.
Wenn einem klar wird, dass der Weg die Mittel nicht heiligt, dass also ein fortschrittlicher Inhalt nicht in einer reaktionären Form umgesetzt werden kann, dann gewinnt die Form plötzlich ungemein an Bedeutung, so der Einstieg einer Wortmeldung. Wenn die dominierende Frage lautet „Was nützt es uns?“ und nicht „Was ist richtig oder falsch“, dann hat die Machtlogik bereits gewonnen. In diesem Fall sind die besten Inhalte egal weil es in dieser Welt nicht mehr um Inhalte geht. Das beste Sachargument scheitert am Opportunismus, die Form determiniert den Inhalt.
Diese Wortmeldung provozierte heftigen Widerspruch. Es flammte eine Diskussion darüber auf, ob der Form nicht zu viel Raum gegeben würde. In mehreren Wortmeldungen wurde betont, dass eine klare politische Agenda, eine große sozialdemokratische Erzählung viel relevanter sei als strukturelle Fragen. Entscheidend sei, dass die Sozialdemokratie wieder in die Lage käme inhaltliche Fragen zu diskutieren. In diesem Zusammenhang wurde bekrittelt, dass die Intoleranz der Parteispitze zu Beginn der 80er-Jahre zumindest noch Diskussionen provozierte, weil ein dialogischer Schlagabtausch möglich war. Heute würde man sich für Kritik bedanken und diese schlicht ignorieren. Die Auseinandersetzung müsste wieder einziehen in die SPÖ und dann könnte man bei vielen Fragen wo man eigentlich mehrheitsfähig sei, wie etwa bei Gesamtschule oder Vermögenssteuer, in Richtung Durchsetzung kommen.
Dieser Argumentation wurde neuerdings mit Einspruch begegnet. Was genau ist denn mit jener Sozialdemokratie gemeint, die diskursfähig werden solle? Wir meinen immer noch das (hauptamtliche) Establishment wenn wir von der Sozialdemokratie sprechen. Natürlich gäbe es dort vereinzelt tolle Persönlichkeiten, doch die Überzeugungslogik ist auf dieser Ebene systemisch besonders schwach ausgeprägt. Wir wollen offenbar jenen Ort bekehren, der das Zentrum der Machtlogik ist. Wenn die SPÖ-Gremien sowieso absegnen, was der/die Vorsitzende will, wenn Parteizentralen nach der Wahl darüber bestimmen wer Abgeordnete/r wird und wer nicht, wenn sich in einem Parteigremium niemand traut den Mund aufzumachen, wenn Angst und Gehorsam das Klima bestimmen, dann herrscht die Machtlogik und Inhalte rücken in den Hintergrund.
Viele Generationen von Linken in der SPÖ glaubten der Inhalt habe Priorität gegenüber der Form. Leider ist aber die Form die Vorbedingung dafür, dass Inhalte überhaupt eine Rolle spielen können. Sie ist nicht wichtiger als der Inhalt, aber sie ist eine Voraussetzung für denselben. Wir sollten daher aufhören das Establishment als Zielgruppe unserer reformerischen Anstrengungen zu betrachten, weil unsere Argumente dort wenig zählen. Weil wir dort mit unseren Überzeugungen als naiv betrachtet werden, weil wir nicht in der gleichen Währung zahlen in der dort bezahlt wird. Wir sollten uns darauf konzentrieren, das Ehrenamt und die Basisstrukturen zu aktiveren – also all jene, die keine Veranlassung haben, sich in die Machtlogik einzuklinken. Wir sollten die latent durchaus vorhandene sozialdemokratische Zivilgesellschaft stärken, deren Handeln aus Prinzipien abgeleitet ist, die aber nicht naiv ist. Wir sollten den Einfluss dieser sozialdemokratischen Zivilgesellschaft kontinuierlich ausweiten und auf diese Weise die politische Linie der SPÖ merklich verschieben. Es geht darum ein Machtfaktor zu werden, ohne der Machtlogik zu unterliegen.
Es kam zur Diskussion wie das in der Praxis gelingen könnte und die Gruppe teilte Skepsis gegenüber einer formalen Struktur, also einem Bündnis oder Flügel mit Logo, Homepage, Sprecher/in, und gemeinsamen Positionen. Der Koordinationsaufwand wäre hoch, die Reibungsverluste beachtlich und die Dynamik könnte rasch verloren gehen. Besser wäre es zu versuchen aus den 120 Ortsparteien und 70 Organisationen ein Netzwerk zu bilden, wo alle Gruppen gleichberechtigt Ideen einbringen können. Abgestimmt wird dann mit den Füßen. Projekte wo viele mitmachen werden eher Erfolg haben, die wo weniger mitmachen eher weniger, aber jedes Projekt kann prinzipiell ausprobiert werden. Ein paar Ideen für gemeinsame Aktionen gab es auch:
- Petitionen: Es gibt die Idee künftig gemeinsame Petitionen aufzulegen. Sollte z.B. eine wichtige Sozialleistung gekürzt werden oder eine Steuererleichterung für Konzerne im Anmarsch sein, dann könnten wir gemeinsam ein Zeichen setzen.
- Demokratiepaket: Wir könnten auf Basis bereits vorhandener Papiere ein Paket für innerparteiliche Demokratie ausarbeiten und gemeinsam fordern.
- Koordinierte Anträge: Wir können ein Demokratiepaket oder andere Forderungen (z.B. neues Mietrecht, Mindestlohn, Abschaffung kleines Glücksspiel etc.) gemeinsam bei unseren Bezirkskonferenzen einbringen, damit das dann in die Landes- und Bundesstatuten eingeht, bzw. Position der Landes- oder Bundespartei wird.
- Umfrage: Wir könnten eine Umfrage unter Ortsorganisationen machen. Dabei fragen wir ab, wie gut sich die Ortsorganisation gegenüber den oberen Ebenen Gehör verschaffen können, was ihre wichtigsten überregionalen Anliegen sind etc.
- ReferentInnenpool: Es gibt die Idee eine Webseite anzulegen, die nach Themen geordnet ist (Arbeitsmarkt, Bildung, Einkommensverteilung etc.), wo sich Leute eintragen können die sich bei einem Thema gut auskennen und die auch einmal bereit sind, den Themenabend einer Orts- oder Bezirkspartei zu besuchen. Damit könnten wir uns Wissen über bundes- und europapolitische Themen vergrößern, und die sozialdemokratische Zivilgesellschaft tiefgehender politisieren.
Gegen Ende der Diskussion wurde von älteren TeilnehmerInnen die Frage aufgeworfen, wieso dieser 30ste Versuch die SPÖ zu reformieren funktionieren sollte, wenn die vorangegangenen wenig bewirkt haben und in OÖ der Versuch Nr. 29 namens Morgenrot gerade dabei ist im Sand zu verlaufen. Wie so oft in der Diskussion hat auch die letzte Antwort auf diese Frage nicht alle überzeugt, aber alle zum Nachdenken gebracht: Weil wir dieses Mal nicht warten dass die Reform von oben kommt, sondern weil wir bei uns selbst beginnen. Umso mehr andere auch bei sich selbst beginnen, umso größer wird die Wirkung sein. Die Verantwortung kann man nicht immer auf die Führung abschieben, es liegt an uns allen für die Veränderung der SPÖ einzutreten.
Mehr Beteiligung der Mitglieder alleine wird die Probleme der SPÖ nicht lösen.
Das Problem ist nämlich, dass diejenigen, für die die SPÖ da sein sollte, nämlich sozial Benachteiligte, nur mehr selten SPÖ-Mitglieder sind.
Die SPÖ braucht also mehr sozial benachteiligte Menschen als Mitglieder.
Außerdem hat die SPÖ zu wenige linke Intellektuelle und Künstler_innen (Sektion 8, usw. sind leider wenige Ausnahmen).