Christian Rechberger*
Die steirische „Gemeindeinitiative“ bringt Gemeindefusionen zurück in die politische Debatte. Ständig stellt sich die Frage, ob es sich bei Landeshauptmann Franz Voves und seinem Stellvertreter Hermann Schützenhöfer nun eher um bewundernswerte „Reformpartner“, es schon etwas übertreibende „Reformzwillinge“ oder lediglich um „starke Maxis“ handelt, die den Weg der Demokratie verlassen haben. Eine Einschätzung eines betroffenen Gemeinderats.
Das Bild der „starken Maxis“ wurde zuletzt in einem STANDARD-Kommentar vertreten – gestützt auf den Unmut der sogenannten „Gemeindeinitiative“, einem Zusammenschluss von gut 100 BürgermeisterInnen (der harte Kern dürfte bedeutend kleiner sein), die „ihre Gemeinden“ durch die Strukturreform akut bedroht sehen.
Einige von ihnen werden sich auch persönlich bedroht fühlen: Ihr Amt, möglicherweise auch ihr Job, jedenfalls ihre persönliche Stellung oder Geltung in der Gesellschaft wird mit einer Zusammenlegung auch wegfusioniert. Aber das sagen sie nicht so laut. Schwer wiegen jedenfalls die Vorwürfe der „Gemeindeinitiative“: Mangelnde Information und Demokratieverweigerung durch Voves und Schützenhöfer. Aber wie halten es diese rebellischen BürgermeisterInnen denn selbst mit Information und BürgerInnenbeteiligung (abgesehen von ihrem aus den Gemeindebudgets bezahltem Aufruf zum Wahlboykott)?
Die Sachargumente
Die Fusionspläne des Landes beruhen – wie in der ganzen Steiermark – auf einer Analyse aller Gemeinden (unter Mitarbeit der Gemeinden) nach einem für alle gleichen Kriterienkatalog, das Ergebnis dargestellt auf einer Skala von 0 bis 100. Je niedriger die Punktezahl, desto höher die Wahrscheinlichkeit, fusioniert zu werden. Konkret bedeuten wenige Punkte: Wenige EinwohnerInnen, wenige Betriebe/Arbeitsplätze, kaum oder keine Bildungseinrichtungen, kaum oder keine Nahversorger, kaum oder keine medizinischen Einrichtungen, kaum oder keine Sportstätten, etc. Sprich: Die Bevölkerung ist in vielen Bereichen auf die Infrastruktur außerhalb der eigenen Gemeindegrenzen angewiesen.
Knackpunkt dieser Situation (und Angelpunkt der Strukturreform) ist das damit zusammenhängende Auseinanderklaffen der Finanzierungsverantwortung zum Nachteil größerer oder zentral gelegener Gemeinden bzw. zum Vorteil sogenannter Umlandgemeinden. BürgermeisterInnen von Zentralgemeinden sind zumeist BefürworterInnen der Strukturreform, müssen sie doch mit ihren kommunalen Budgets regionale Infrastruktur finanzieren. BürgermeisterInnen von Umlandgemeinden sind oft GegnerInnen der Strukturreform, konnten sie doch ihr durch etwaige Infrastrukturausgaben unbelastetes Gemeindebudget für lustigere Sachen verwenden.
Ein kleines, aber besonders dreistes und daher treffendes Beispiel aus meiner Region (Pöllauer Tal, sechs potentiell zu fusionierende Gemeinden, insgesamt etwas über 8.000 EinwohnerInnen) um die vorhergehenden Ausführungen greifbarer zu machen:
Das Freibad im Zentralort produziert einen jährlichen Abgang in der Größenordnung von 70.000 Euro. Keine der Umlandgemeinden beteiligt sich an der Finanzierung, müssen sie ja auch nicht. Dafür bezahlen einige der Umlandgemeinden „ihren“ Kindern den Eintritt in dieses Freibad. Und die dazugehörigen Bürgermeister versäumen es bei Gelegenheit nicht, darauf hinzuweisen, dass das eine besondere Leistung ihrer Gemeinde sei und der Zentralort das nicht machen könne, weil er ja verschuldet ist.
Gleiches findet sich dutzendfach in anderen Zusammenhängen bzw. in allen zwei- oder dreihundert Regionen der Steiermark und ist weder Wissenschaft noch Geheimnis, sondern offenkundig.
„Informationskampagnen“ der Ortskaiser
Drei Bürgermeister im Pöllauer Tal ließen in den vergangenen Monaten BürgerInnenbefragungen zur Gemeindestrukturreform stattfinden. Vom ersten Bürgermeister weiß ich, dass er Teil dieser „Gemeindeinitiative“ ist, der zweite hegt zumindest starke Sympathie für sie und der dritte hat mittlerweile erreicht, dass „seine“ Gemeinde nicht mehr Teil von Fusionsüberlegungen ist – die längerfristige Sinnhaftigkeit dieses Erfolges darf mit einem Blick auf die Gegebenheiten der Region übrigens bezweifelt werden.
Jedenfalls: Die den Volksbefragungen vorhergehenden „Informationskampagnen“ der Bürgermeister bestanden nicht etwa aus der fairen Gegenüberstellung von Pro- und Contra-Argumenten oder gar den beschriebenen Zusammenhängen und Analysen des Landes, sondern aus kommunalen Weltuntergangsphantasien. Eine Fusion führe zwingend zum Sterben aller Vereine, zum Verschwinden des Ehrenamtes, zu ungeräumten Straßen im Winter und zur Erhöhung sämtlicher Gebühren. Fakten für diese Behauptungen gab es natürlich keine, dafür das Gütesiegel „amtliche Mitteilung“, quasi wanderpredigende Bürgermeister und zum Abschluss noch eine tendenziöse Fragestellung am Stimmzettel.
Es fanden auch umfassende „Informationsveranstaltungen“ statt. TeilnehmerInnen, die sich für eine Fusion aussprachen, wurden beispielsweise coram publico darüber informiert, dass sie doch auch einfach auswandern könnten.
Es hat mich nicht überrascht, dass bei diesen Volksbefragungen jeweils 80 Prozent gegen eine Fusion gestimmt haben. Es wundert mich allerdings, dass reform-, fakten- und prognoseresistente Ortskaiser in das milde Licht graswurzelnder Demokratiefans getaucht werden.
*Christian Rechberger ist seit 2005 SP-Gemeinderat in Pöllau
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