Parteidemokratie #1: Ein Stück des Weges gemeinsam gehen

Dieser Beitrag ist der erste zum Thema Parteidemokratie, in den nächsten Wochen werden weitere folgen. Es handelt sich dabei um die Beiträge zur Parteidemokratie-Tagung der Sektion 8 am 9. März 2012. Die Autoren gehen in diesem Artikel der Frage nach, wie es um Mitarbeits-, vor allem aber auch Mitgestaltungsmöglichkeiten in der SPÖ bestellt ist. Aus dem Blickwinkel einfacher Interessenten/Suchender nach sinnvoller politischer Mitwirkung analysieren sie die Angebote der SPÖ und leiten aus ihren Erfahrungen konkrete Vorschläge ab, um diese zu verbessern, um nicht zu sagen: zu ermöglichen.

von Dominik Mungenast* und Claus Hörr*


Inhalt

Analyse des Ist-Zustandes

Die österreichische Sozialdemokratie lebt in einem Zustand der intellektuellen und organisatorischen Erosion. Die Partei ist von 721.000 Mitgliedern1 im Jahr 1979 auf heute 234.0002 geschrumpft. Für viele AnhängerInnen hat sie ihre politischen Positionen verloren und steht für kaum noch etwas bis gar nichts mehr.

 

International

Damit ist sie aber nicht allein. So geht es fast allen in der Sozialistischen Internationale. Offenbar findet sich die Sozialdemokratie immer noch nicht zurecht in der globalisierten Welt und den Megatrends unserer Zeit:

  • Ressourcenknappheit

  • Demographischer Wandel

  • Individualisierung

  • Urbanisierung und wachsende Mobilität

  • iWorld – zunehmende weltweite Vernetzung

Die Sozialdemokratie ist gerade dabei, die Neuordnung der Welt zu verpassen.
Gegründet wurden die sozialistischen Parteien im europäischen Zeitalter des 19. Jahrhunderts. Groß und erfolgreich geworden sind sie im amerikanischen Zeitalter. Und jetzt, im angehenden chinesischen sollen sie am Abgrund stehen? Das wäre doch paradox!

Dabei gibt es Beispiele, dass sozialistische bzw. sozialdemokratische Ansätze zum Erfolg führen. In Lateinamerika sind die Sozialdemokraten im Aufwind. Zum Beispiel Lula und seine Nachfolgerin Dilma Rousseff in Brasilien. Das Programm „Bolsa Familia“ erreicht gegenwärtig etwa 50 Millionen Menschen. Die Armut ist drastisch zurückgegangen3. Viele unterstützen daher auch Präsidentin Dilma Rousseff, die kürzlich beim Sozialforum in Porto Alegre auch entsprechend selbstbewusst auftrat. In Richtung Europa meinte sie, "die Kluft zwischen der Stimme der Straße und der Stimme der Märkte“ werde immer größer. Erneut würden in Europa gescheiterte Rezepte vorgeschlagen. Und weiter: "Heute geben wir unsere Souveränität nicht mehr auf, wenn Mächte, Finanzgruppen oder Ratingagenturen Druck auf uns ausüben."
Klar, sie hat leicht reden. Die Wirtschaft brummt, nicht zuletzt wegen der neu erschlossenen Rohstoffvorkommen vor der Küste. Dennoch sind eben auch nach dem Überwinden neoliberaler Politiken “Forderungen nach sozialer Protektion in Chile, Brasilien und Uruguay, wo Demokratien robust und Parteiensysteme intakt sind, über etablierte Parteiorganisationen kanalisiert worden und werden jetzt in innovative Politiken umgesetzt”4,schreibt Kenneth M. Roberts in einem Artikel über die Perspektiven der Sozialdemokratie in Lateinamerika.

Aber die europäische Stimme der Sozialistischen Internationale (SI) ist weitgehend verstummt. Globale sozialdemokratische Ansätze schaffen es nicht zu den Menschen. Zum Teil liegt es daran, dass die politisch Verantwortlichen selbst nicht mehr durchblicken. Die viel zu weit liberalisierten Märkte, insbesondere im nicht-produzierenden Bereich, agieren und reagieren für sie völlig unvorhersehbar. Die Mechanismen, die sie zwar zugelassen haben, verstehen sie nicht mehr. Wie auch. Tut ja fast niemand. Sie leben in der ständigen Angst, jede Aktion könnte die Lage “verschlimmbessern”.

Forderungen, etwa nach einer Finanztransaktionssteuer, sind zwar sicher ernst gemeint. Zur Umsetzung fehlen aber Macht, Kraft und vor allem Verbündete – nicht in der Bevölkerung, sondern auf politischer Ebene. Wo ist hier die laute Stimme der SI? Sendepause.
Dass da die Menschen zornig werden, darf nicht verwundern. Seit Jahren hören sie, dass diejenigen, welche für die Misere verantwortlich sind, auch dafür gerade stehen sollen. Geschehen ist bis jetzt fast nichts. Transaktionssteuer? Europäische Ratingagentur? Nada!
Die Sozialdemokratie schafft es zwar, dank der Errungenschaften aus dem vorigen Jahrhundert, die Grundbedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Das wird von diesen inzwischen aber als selbstverständlich erachtet. Anton Pelinka nennt es in einem Vortrag zur Zukunft der Sozialdemokratie5 “Die Selbsteliminierung durch Erfolg”. Die Erwartungshaltungen, die zum Beispiel über das Internet geweckt werden, kann sie aber nicht erfüllen. Dabei sieht Pelinka in der Globalisierung “die große Chance für eine wahrhaft internationalistisch ausgerichtete Partei”. Alles ist globalisiert: Die Wirtschaft, die Kultur, die Kommunikation, nur die Politik nicht.

Im Gegenteil haben wir den Eindruck, dass die Politik mehr und mehr “verschrebergärtnert”. Wirtschaftspolitisch ja. Da treffen sich quasi täglich irgendwelche EU-Spitzen, G-8, G-20 usw. zur Krisenbewältigung. Gesellschaftspolitische Würfe bleiben aber aus. Und bei grundlegenden marktregulativen Fragen ist sowieso kaum Fortschritt wahrnehmbar, siehe Finanztransaktionssteuer.

Das ist es, was die Bürgerinnen und Bürger immer mehr zu Wutbürgerinnen und Wutbürgern macht. Dass sie das Gefühl bekommen, dass es immer nur um Vorteile für “die da oben” (die Banken und Spekulanten) geht, ist die logische Konsequenz.

Pelinka liegt daher richtig, wenn er eine globale “politische Gegenmacht zur Ökonomie” fordert. Aber es ist keine Rede von "Yes, we can" – nicht einmal ein schüchternes "Perhaps we can" ist da zu hören…

 

Neue Medien

Apropos Obama. Auch so ein Punkt. Alle schauen ganz verzückt auf seine Online-Aktivitäten. Alle wollen cool sein und legen sich sicherheitshalber ein fesches Facebook-Profil zu. Und was tun sie dort? Presseaussendungen posten oder sonstige Belanglosigkeiten. Interaktion? Ist nicht.

Oder widmen wir uns kurz der Anfang Februar lancierten Kampagne der deutschen Bundesregierung “Dialog über Deutschland”6. Über eine Web-Plattform sind unsere NachbarInnen aufgerufen, über die Zukunftsperspektiven einer Gesellschaft in 10-15 Jahren nachzudenken. Zu drei verschiedenen Themenblöcken sollen sie ihre Vorschläge posten und über die besten Vorschläge abstimmen:

  • Wie wollen wir zusammenleben?

  • Wovon wollen wir leben?

  • Wie wollen wir lernen?

Die UserInnen können über die eingelangten Vorschläge abstimmen. Zusätzlich prüft eine ExpertInnenjury. So weit, so gut. Output der gesamten Kampagne ist nach heutigem Wissensstand, dass die besten Beiträge in einem Buch zusammengefasst werden. So wie es derzeit aussieht, droht die Initiative zu einem Forum für Verschwörungstheoretiker, diverse “Phobioten” und Minderheitenprogramme zu verkommen. Entsprechend hämisch sind auch die Rezensionen in den Medien7.

 

Bürgerbeteiligung “analog”?

Mit Web 2.0 & Co ist es also hierorts nicht allzu weit her in der Parteiendemokratie. Gut, dann versuchen wir es eben analog. Hier hat die Sozialdemokratie in ihrer Geschichte ja ausreichend Expertise aufgebaut. Durchstrukturiert in jedem Lebensbereich, vom Kindergarten über den Gemeindebau bis in die Altenbetreuung. Sollte man glauben. Die Strukturen existieren seit Jahrzehnten weitgehend unverändert. Dabei sind sie jedoch selbst oft bereits im Altersheim oder scheintot. Dies mag polemisch und arrogant klingen, aber ein Online-Streifzug durch die Sektionen und Ortsgruppen beweist es. Fotos von prednisone 20 mg oral Faschingskränzchen sind die Highlights der Saison, ab und zu ein bisschen Lokalpolitisches der Brisanzklasse “die Richtung der Einbahnstraße nächst dem Sektionslokal”, sonst “Bonjour tristesse”. Warum soll sich davon jemand, der politisch “etwas ändern” möchte, angezogen fühlen? Ein Klick auf Facebook bei diversen Ziegelsteinen ist lustiger, einfacher und befriedigt auch ein Stück weit das politische Gewissen – kurzfristig zumindest.

Steckt da Absicht dahinter, oder ist das passiert? Die SPÖ des Jahres 2012 ist eine straffe Kaderpartei. Wie entscheidende politische Positionen gefunden werden ist völlig intransparent. Kleine Gruppen an der Spitze legen diese hinter verschlossenen Türen fest. Welche Motive dahinter stecken, ist schon für Parteimitglieder kaum nachvollziehbar, ganz zu schweigen von der breiten Öffentlichkeit. Gremien, auch die höchsten, dürfen brav abnicken. Der Parlamentsklub ist zur Zustimmungsmaschine degradiert. Kein Wunder, dass der Frust dort steigt und sich auch gelegentlich entlädt. Der von Abg. NR Königsberger-Ludwig anlässlich der Beratungen zum “Konsolidierungspaket” der Bundesregierung via Facebook geäußerte Unmut8 über mangelnde Diskussionsbereitschaft der Parteispitze zeigt: die Partei steckt in der Kommunikations-Einbahnstraße von oben nach unten. Kommunikation von unten nach oben landet häufig in einer Hierarchie-Sackgasse.

Das zeigt nicht nur die Realität, das steht auch in den Parteistatuten, wie wir aus unserer Recherche für diesen Vortrag feststellen mussten. Für einfache Mitglieder sieht die Sache mit der Mitsprache ja noch ganz gut aus. In § 6 Ziffer 4 des Bundesstatuts heißt es dazu, dass jedes Mitglied das Recht hat, “sich in politischen und organisatorischen Fragen schriftlich an den jeweils zuständigen Bezirks- oder Landesparteivorstand oder insbesondere an den Bundesparteivorstand zu wenden.”9 Dieser muss sogar binnen acht Wochen antworten. Ganz anders sieht das schon bei den organisierten Mitmach-Angeboten aus.

 

Themen-/Projektinitiativen

Die klingen vielversprechend – zumindest auf den ersten Blick. Der § 28 des Bundesstatuts besagt, dass Themeninitiativen auf allen Ebenen der Partei gegründet werden können. Eine delegierte Person hat in den Gremien, welche in den Statuten festgehalten sind, Sitz und Stimme. Auch Nicht-Mitglieder sind willkommen. Laut dem selben § 28 braucht es aber ein Drittel der Stimmen des zuständigen Gremiums für die Zulassung einer solchen Initiative. Im Wiener Statut ist von einen Viertel die Rede. In Niederösterreich findet sich die Themeninitiative gleich gar nicht. Wir gehen davon aus, dass hier das Bundesstatut greift, aber große Bedeutung signalisiert das nicht. Die Hürde für die Anerkennung liegt jedenfalls recht hoch – insbesondere, wenn der Inhalt nicht dazu angetan ist, höhere Parteiebenen zum Jubeln zu bringen. Übrigens ist es uns nicht gelungen, einen Überblick über die bestehenden Themeninitiativen zu bekommen. Auf eine entsprechende Anfrage in der Löwelstraße haben wir

die Antwort erhalten, dass es eine “Gesamterfassung aller Aktivitäten, die unter dem Dach der SPÖ stattfinden” schlicht und einfach nicht gäbe. Wie sollen denn dann politisch Bewegte wissen, wo sie mitmachen können?

 

Referate

Die Referate der Partei sind auch nicht für alle das Richtige. Für Menschen über 38 ist das Engagement innerhalb der JG nicht möglich. Das Frauenreferat spricht auch eine klar definierte Zielgruppe an, und wenn es nicht Bildungsthemen sind, die einen interessieren, ist vermutlich auch dieses Referat nicht das Ziel der Polit-Träume. Themenmäßig ist das Ganze also überschaubar.

 

Sektionen bzw. Ortsgruppen

Auch bei den 3.589 Sektionen und Ortsgruppen findet die Möglichkeit zur aktiven politischen Arbeit und Einflussnahme auf Entscheidungsprozesse ein jähes Ende, wenn die nächste Hierarchieebene nicht mitspielt. Laut § 4 lit. e des Wiener Parteistatutes10 haben die Sektionen die Aufgabe der “Erstellung von Anträgen, Vorschlägen und Anregungen an die Bezirksorganisation, insbesondere in lokalen, kommunalpolitischen Belangen”. Sonst dürfen die dort Organisierten die von “oben” verordneten Informationen an die Mitglieder weitergeben bzw. neue Mitglieder werben. Wie heißt es so schön ein paar Zeilen drüber im § 3 Ziffer 3: “Eine über die Mitgliederbetreuung hinausgehende Tätigkeit ist im Einvernehmen mit der Bezirksparteiorganisation durchzuführen.” Wien ist hier aber nicht anders als die anderen. Ähnliche Bestimmungen finden sich in sämtlichen Landesstatuten.

  • Zum Beispiel Niederösterreich: § 26.10 lit b11: Der Ortsorganisation obliegt die “Durchführung von Aktionen aufgrund von Beschlüssen von übergeordneten Parteiorganisationen”.

  • Oder die progressiven Steirer: § 29.5 lit i12: Der Ortsvorstand hat die Aufgabe der “Durchführung von Aktionen aufgrund von Beschlüssen überörtlicher Parteiorganisationen”.

  • Deutlich weiter ist Tirol. Dort heißt es in § 8.1.313, zu den Aufgaben der Ortsorganisation gehöre “die Gründung und Betreuung von offenen Gesprächsrunden (…), in denen politische Fragen besprochen und Projekte vorbereitet werden”. Eine direkte Absegnung durch höhere Hierarchien ist zumindest aus dem Statut nicht abzuleiten. Not aus der Tugend, bei gerade mal 2.000 Mitgliedern?

Kleiner Einschub: In unserer Recherche ist es uns letztlich gelungen, alle neun Landesstatuten zu ergattern. Öffentlich abrufbar war davon ein einziges. Die übrigen haben wir uns über die Landesorganisationen besorgt und dabei durchaus Misstrauen geerntet. Offenbar fallen Statuten unterhalb des Bundesstatuts unter Parteigeheimnis. Inzwischen können wir das auch ein Stück weit nachvollziehen, sind sie doch wenig geeignet, um (Partei-)Außenstehenden Lust auf Mitwirkung zu machen. Aus der Lektüre der Statuten folgt – jedenfalls für uns –, dass die Sektionen kaum Möglichkeiten bieten, sich politischen Themen anzunehmen, die über das lokale Umfeld hinausgehen. Das trifft insbesondere dann zu, wenn politische Ideen dem Willen höherer Hierarchieebenen kritisch gegenüberstehen. Also in der Regel wieder nichts für sozialdemokratisch Querdenkende.

Die SPÖ macht es all jenen, die sie zumindest ein Stück des Weges begleiten wollen, alles andere als leicht. Weit geöffnete Tore haben wir nicht gefunden. Desto mehr eröffnet sich das Demokratiedefizit, das in der Partei herrscht. Interessierte müssen es schon sehr ernst meinen, sich da durchzuwurschteln, um letztlich nur ziemlich überschaubare, unmittelbare Mitsprachemöglichkeiten vorzufinden.
Niko Kowall bringt es auf den Punkt, indem er schreibt: “Wenn eine minimal kleine politische Führungsclique hinter verschlossenen Türen festlegt, wo es politisch langgeht, und die entsprechenden Beschlüsse in den Gremien nur pro forma abgenickt werden, dann wird eine inhaltliche Auseinandersetzung systematisch unterbunden. Doch wenn Inhalte gar nicht zur Disposition stehen und gar nicht mehr verhandelt werden müssen, dann trocknet das Wertvollste aus, was eine politische Bewegung zu bieten hat: der lebendige politische Diskurs.”14

Thesen

Aus unserer, zugegeben wenig erbaulichen, pathologischen Untersuchung leiten wir vier Thesen ab:

  1. Das Grundproblem ist nicht so sehr der Inhalt, also die Grundsätze und Ziele der Partei. Das Problem ist die Verpackung: sie ist schäbig, zerschlissen und wenige glauben noch, dass da was Gutes drinnen ist. Die Partei braucht personelle und organisatorische Erneuerung.

  2. Bietet die Partei nicht ausreichend Vernetzungs- und Andockmöglichkeiten, werden Menschen, die politisch mitgestalten wollen, die Partei umgehen. Soziale Netze geben dazu jede Menge niederschwellige Gelegenheit. Die Partei muss ernstgemeinte moderne Elemente der politischen Einbindung zulassen.

  3. Nur die Verbreiterung der Ideenbasis und die Eröffnung von Mitsprachemöglichkeiten (auch und besonders für Nicht-Mitglieder) kann eine Rückkoppelung zur Zivilgesellschaft bringen. Die Partei muss sich öffnen.

  4. “Ein Stück des Weges gemeinsam gehen”: diese Möglichkeit – die weiland Bruno Kreisky postulierte und ihm letztlich zum Erfolg verhalf – steht derzeit nur absoluten Enthusiasten offen. Der Zugang zur Partei muss einfacher werden.

Zu diesen vier Thesen entwickeln wir im Anschluss einige Ideen, die dazu angetan sind, die Partei den Weg aus der Hierarchie-Sackgasse einschlagen zu lassen.

 

Wege aus der Hierarchie-Sackgasse

  • Öffnung der Sektionen für Nicht-Mitglieder

  • Anfragerecht für Sektionen

  • Sektionsübergreifende Bürgerinitiative – die SüBI

  • Sektionspartnerschaften zur Förderung der internationalen Zusammenarbeit und der Re-Internationalisierung der Partei

1) Öffnung der Sektionen

Unsere “Traumsektion” der Zukunft ist der Nucleus der politischen Arbeit. In ihr werden politische Ideen geboren, diskutiert und “nach oben” vorangetrieben. Auch Nicht-Mitglieder sind willkommen und können – ja, sollen! – am politischen Diskurs teilnehmen. Gelingt dies, besteht die realistische Chance, sie letztlich auch als Mitglieder zu gewinnen. Damit erfüllt die Sektion wieder ihre Funktion als Bindeglied zur Zivilgesellschaft. Dabei ist es zwingend erforderlich, dass die Sektion über den lokalpolitischen Tellerrand hinausblickt und dies vor allem auch darf. Die Sektion macht es zu ihrer Kernaufgabe, auch große politische Themen der nationalen und internationalen Ebene zu diskutieren und dazu ihre Vorschläge zu entwickeln. Das kann zum Beispiel in Form von Themenabenden und – weiterführend – auf Online-Basis geschehen. Besonders hier ist der Input der Nicht-Mitglieder erwünscht.

Dem Einwand, dass diese Nicht-Mitglieder doch keinesfalls so weitreichende Mitbestimmungsrechte innerhalb der Partei bekommen dürften und die Gefahr der “feindlichen Übernahme” drohe, begegnen wir mit dem Vertrauen in das politische Sensorium der Sektionsmitglieder. Nicht-Mitglieder, die sich als politische Gegner erweisen, sollen auf Vorschlag des Sektionsausschusses, oder auf Verlangen eines Drittels der Sektionsmitglieder, und durch Zustimmung der Mehrheit der Sektionsmitglieder der Sektion verwiesen werden können. Solange dies nicht geschieht, haben Nicht-Mitglieder das Recht, über inhaltliche Vorschläge mitzubestimmen.

Sie sind jedoch nicht in die Entscheidung über die personelle Zusammensetzung der Sektion und der weiteren Ebenen eingebunden. Sehr wohl können sie auf Vorschlag des Ausschusses beratend in Gremien kooptiert werden. Diese Rechte erhalten nur jene Nicht-Mitglieder, die mindestens drei Monate vor dem jeweiligen Wahlgang ihre Mitarbeit in der Sektion begannen.

Viel wichtiger ist aber, wie wir überhaupt interessierte Nicht-Mitglieder erreichen und zur Teilhabe am Sektionsleben bewegen. Dazu setzen wir auf neue Technologien. Hier ist die Partei ohnedies völlig vorsintflutlich aufgestellt. Künftig werden die von den einzelnen Sektionen bearbeiteten Themen web-basierend zur Diskussion gestellt. Um Interessierte darauf aufmerksam zu machen, setzen wir sehr wohl wieder auf das ganz Traditionelle, gehen von Haus zu Haus und verteilen Zettel. Das ist gerade im überschaubaren Bereich des Sektionsgebietes machbar. Gelingt es, die Leute so online zu bringen, finden einige über kurz oder lang wohl auch physisch ins Sektionslokal.

Tatsächlich hinterfragenswert sind aber auch die vielen sektionsinternen Hierarchieebenen. Ist es wirklich notwendig, diese kleinen Einheiten durch Apparatschik-Strukturen zu definieren? Sektionsausschuss, Vertrauenspersonenversammlung, Mitgliederversammlung: und das bei einer Handvoll Mitglieder bzw. ohnedies oft weitgehend identen FunktionärInnen. Das muss doch mit mindestens einer Ebene weniger gehen. Sektionsvorstand + Mitgliederversammlung: sollte reichen!

 

2) Anfragerecht für Sektionen

Unser zweiter Vorschlag zielt auf das Mitspracherecht der Sektionen ab. Denn natürlich müssen die über die lokale Ebene hinausgehenden politischen Ideen, welche auf Sektionsebene entwickelt werden, auch den Weg nach oben finden. Dazu erhalten die Sektionen die gleichen Rechte, die einfachen Mitgliedern in § 6 Abs. 4 des Bundesstatuts eingeräumt werden. Nämlich: Das Recht auf Befassung höherer Hierarchieebenen, insbesondere auch die des Bundesvorstandes, und das Recht auf Antwort binnen acht Wochen.

 

3) SüBI

Die Befassung der Allerhöchsten durch eine Sektion wird vermutlich überschaubaren Eindruck machen. Um wirklich politische Kraft an der Basis zu entfalten, müssen die Sektionen das Instrument bekommen, sich in einzelnen Themenbereichen zu vernetzen und zu verbünden. Daher unser dritter Vorschlag, die sektionsübergreifende BürgerInitiative – kurz: SüBI. Die Idee fußt auf der Europäischen Bürgerinitiative (EBI), die mit 1. April 2012 politische Realität wird. In Analogie zu ihr können Sektionen künftig gemeinsam eine Initiative erarbeiten, politisch vorantreiben und letztlich damit den Bundesparteivorstand befassen. Analog zur EBI wählen wir auch das Modell der doppelten Mehrheit, damit der Vorstand eine SüBI behandeln muss. Mindestens jeweils 15% der Sektionen in zwei Bundesländern müssen die Initiative unterstützen. Die 15 % schlagen wir analog zum § 7 Abs. 2 des Bundesstatut vor, der die Quoten zur Mitgliederbefragung festlegt. Die zwei Bundesländer leiten wir aus der Verordnung EU Nr. 211/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.11.201115 über die Bürgerinitiative ab.

Im Vergleich zur EBI legen wir mit diesen Parametern die Latte ohnedies sehr hoch, sind doch für die verpflichtende Behandlung durch die Kommission lediglich 0,2% der EU-Bürgerinnen und Bürger erforderlich, also 1 Mio. Unterschriften aus 502 Mio. UnionsbürgerInnen.

Selbstverständlich soll das Instrument aber auf allen Ebenen der Partei – also in Bund, Land und Bezirk – funktionieren. Die einzelnen Schlüssel werden wir hier aber nicht vertiefen, da im Grunde für die Idee irrelevant und doch ein wenig monoton. Thematisch sollte sich eine SüBI insbesondere allgemeinen gesellschaftspolitischen, bundespolitischen oder internationalen Fragen widmen. Dabei ist es durchaus denkbar, dass auch ein Landesparteivorstand mit der Aufforderung befasst wird, für ein bestimmtes Thema auf Bundesebene einzutreten.

Und was passiert mit einer erfolgreich durchgeführten SüBI? Auch hier wieder die Analogie zur EBI: Das jeweilige Parteigremium ist verpflichtet, binnen drei Monaten dazu öffentlich, schriftlich und begründet Stellung zu nehmen. Außerdem besteht ein Anhörungsrecht einer oder eines Delegierten der SüBI vor dem jeweiligen Parteitag. Wobei allein die mediale Aufmerksamkeit, die eine solche Initiative erregen kann, nicht zu unterschätzen ist.

4) Sektionspartnerschaften

Wie bereits eingangs erwähnt, ist die internationale Ausrichtung der Sozialdemokratie in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark verkümmert. Um nochmals Pelinka, den Älteren, zu zitieren: “Die Sozialdemokratie überlässt die Globalisierung de facto fast kampflos dem Kapital. Während dieses die mit der Globalisierung verbundene Aufhebung der Grenzen […] nützt […], verharrt die Sozialdemokratie in einer hoffnungslosen Defensivposition.”16 Die Skepsis, um nicht zu sagen Feindlichkeit gegenüber dem Fremden greift weit um sich. Keine Rede mehr von internationalem Miteinander. Das nur im Wege der Sektionen zu ändern, ist ein zugegeben abstruser Ansatz und so auch nicht gemeint. Gegenseitiges Verständnis schaffen kann aber auch hier funktionieren. Warum nicht Partnerschaften mit Sektionen, oder ähnlichen Organisationsstrukturen in anderen Ländern eingehen? Das klappt auf Ebene der Städte und Gemeinden, warum also nicht auch auf Ebene der Sektionen? Das könnte, so ganz nebenbei, ja auch ein Anreiz sein, Menschen zum Mitmachen zu begeistern.

 

Schlussbemerkung

Fassen wir also zusammen: Uns ist bewusst, dass die Öffnung der Sektionen, das Anfragerecht und die SüBI nichts anderes bedeuten, als eine Statutenänderung, denn selbstverständlich müssen all diese Punkte statutarisch festgeschrieben werden.

Und noch eine Aufgabe hätten wir für die Partei: Schafft online abrufbare Verzeichnisse aller Sektionen und Themeninitiativen! Das wäre echt hilfreich für Interessierte, um überhaupt zu wissen, wo sie sich engagieren können. Wir sind sicher nicht die einzigen, die danach gesucht haben. Wie viele dabei die Lust verloren haben, wage ich nicht einzuschätzen. Und gebt den Sektionen technische Unterstützung, um eigenständig Online-Dialoge starten zu können.

Zum Abschluss noch ein weiterer Wunsch zur Statutenänderung: Der § 18 Ziffer 1 des Bundesstatuts und seine Äquivalente in den Landesstatuten ist wahrlich nicht der Spiegel gelebter Demokratie. Dort heißt es: "Die Aufnahme auf einen Wahlvorschlag der SPÖ kann nur erfolgen, wenn der/die KandidatIn die SPÖ in schriftlicher Form ermächtigt, in seinem/ihrem Namen auf das Mandat bezogene Erklärungen mit Ausnahme des Mandatsverzichtes eines(r) gewählten Abgeordneten abzugeben.” Was heißt das? Will ich als Neuer auf eine Liste, geht das nur, wenn ich gleich mal unterschreibe, auf mein Mandat zu verzichten, wenn es die Partei so will? Vielleicht nur deshalb, weil jemand anderer mit einem Mandat zu versorgen ist? Das sorgt auch nicht wirklich für die erforderliche Motivation. Daher: Streichen wir doch den Satzteil “eines gewählten Abgeordneten” und weg ist der vorab verpflichtende Mandatsverzicht.

Sind unsere Ideen Illusion? Vielleicht. Aber, und das war einer der Ausgangspunkte unserer Überlegungen, die “Sektion 8”, “Morgen.rot” oder “momentum” müssen in die Partei ausstrahlen und eine breite Basis erreichen. Sie wartet darauf. Dafür haben die beiden vergangenen Jahrzehnte des Neoliberalismus gesorgt. “Das Gestern verteidigen zu wollen, das ist das falsche Rezept; auf dem Boden von heute für ein besseres Morgen politisch zu kämpfen – das ist der richtige strategische Ansatz”, sagt nochmals Anton Pelinka. Wir haben uns bemüht, für diesen richtigen Ansatz ein paar Ideen zu entwickeln, und freuen uns jetzt auf die Diskussion darüber.

 

Die Autoren

*Dominik Mungenast BA; Bundeskanzleramt, Bundespressedienst (Öffentlichkeitsarbeit und Soziale Medien); Parteimitglied; langjähriges ehemaliges Vorstandsmitglied der SoHo – Sozialdemokratie und Homosexualität

*Claus Hörr; Bundekanzleramt, Bundespressedienst (Abteilungsleiter, zuständig für Medienbetreuung, Soziale Medien und Europainformation); davor Hörfunkjournalist; nicht parteigebunden

1 www.austria-lexikon.at

2 www.spoe.at

3 Zahlen gemäß ISSA (Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit www.issa.int), Juni 2011

4 Kenneth M. Roberts, Perspektiven der Sozialdemokratie in Lateinamerika, Nueva Sociedad Nr. 217, 9-10/2008

5 Anton Pelinka, Vortrag “Die Zukunft der Sozialdemokratie, Sommerakademie der sozialdemokratischen Organisationen; Wien, August 2009

6 www.dialog-ueber-deutschland.de, Februar 2012, Bundespresseamt Berlin

7 siehe z.B. Philipp Wittrock “Internetdialog der Kanzlerin” Spiegel Online vom 8.2.2012

8 Eintrag auf www.facebook.com/bundeskanzlerfaymann vom 10. Februar 2012

9 Organisationsstatut der SPÖ

10 Statut der SPÖ-Landesorganisation Wien, 28. Mai 2011

11 Das neue Organisationsstatut der SPÖ Niederösterreich, 2009

12 Landesorganisationsstatut der SPÖ Steiermark, 2.3.2003

13 Organisationsstatut der Sozialdemokratischen Partei Österreich, Landesorganisation Tirol, 6. Februar 2006

14 Nikolaus Kowall – Das Ende des kleinen Glückspiels in Wien; Friedrich Ebert Stiftung, Dezember 2011

15 gemäß Artikel 7 (1) müssen die UnterzeichnerInnen „aus mindestens einem Viertel der Mitgliedsstaaten stammen“. http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2011:065:0001:01:DE:HTML

16 Anton Pelinka, Vortrag “Die Zukunft der Sozialdemokratie, Sommerakademie der sozialdemokratischen Organisationen; Wien, August 2009

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One Response to Parteidemokratie #1: Ein Stück des Weges gemeinsam gehen

  1. Heidi Mann 19. Mai 2012 at 11:40 #

    Inhaltlich wunderbar getroffen! Die kommende „Stammtisch-Tour“ der Wiener SPÖ wird an diesen grundlegenden Problemen leider auch nichts ändern. An den Plätzen, die für Besuche der Protagonisten vorgesehen sind, werden die mich wahrscheinlich nicht antreffen. Das Interview von Erwin Steinhauer im Standard vom 19. Mai trifft den Kern auch ganz gut.

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