Transparenz und Korruption #1: Eine irr-geleitete Debatte

Dies ist der erste von mehreren Einträgen in diesem Blog, die sich um den Themenkomplex „Transparenz und Korruption in der Politik“ drehen. Im Spannungsfeld zwischen den ständig neuen Details, welche über die Machenschaften von Hochegger und Co. ans Licht kommen und der Straffreiheit für die Beteiligten („Wo woar mei Leistung?“), sollen diese Einträge einen Diskussionsprozess in Gang bringen. Ziel ist es, ein möglichst klares Bild zu entwickeln, an welchen Schrauben gedreht werden muss, um Korruption und Misswirtschaft in Zukunft wirkungsvoll einzudämmen. (Fachkundige) Ergänzungen oder Kritik, auch in Form von Gastbeiträgen, die einer sachlichen Diskussion dienlich sind, sind somit ausdrücklich erwünscht. Als Auftakt widmet sich dieser Beitrag der Frage, welche volkswirtschaftlichen Schäden der Republik durch die Korruptionsfälle der letzten Jahre zugefügt wurden. Anhand von drei Beispielen zeigt sich nämlich, dass die grundlegende politische schwarz-blaue Agenda sowie banale Misswirtschaft wahrscheinlich schädlicher als die eigentlichen Korruptionsfälle waren.

Von Rafael Wildauer

Es mag komisch wirken, zu Beginn einer Debatte über Transparenz und Korruption darauf zu verweisen, dass andere Ursachen ein viel größeres Potential haben, die Republik finanziell zu belasten, als korrupte PolitikerInnen und deren FreundInnen-Netzwerke. Nichtsdestotrotz ist es für eine Korruptionsdebatte unerlässlich, die Dimensionen zu kennen, um die es geht. In den Medien wird fast ausschließlich darüber berichtet, ob und wo Gebühren und Provisionen in private Taschen geflossen sind, oder sein könnten (siehe profil). Die wirklichen finanziellen Schäden für die Allgemeinheit werden dabei meist völlig außer Acht gelassen. Eine genauere Betrachtung der jüngsten Skandale (siehe Falter, leider nur die ersten 5 Skandale online) zeigt zudem, dass die Republik nicht so sehr durch Korruption (insgesamt 60 Millionen € an vermuteten Provisionen laut profil), sondern vielmehr durch Misswirtschaft und die grundsätzliche schwarz-blaue Agenda geschädigt wurde. Zur Klarstellung: Es geht nicht darum, Korruption kleinzureden oder zu relativieren. Ein Rechtsstaat sollte die notwendigen Mittel haben, diese effektiv zu bekämpfen. Warum dies in Österreich nicht ausreichend geschieht beziehungsweise ob die Justiz ihre Aufgabe zu früheren Zeiten besser erledigt hat, wird Gegenstand späterer Beiträge sein. Stattdessen versucht dieser Artikel die Dimensionen zu verdeutlichen und die Debatte auf die wirklich „dicken Fische“ zu fokussieren.

Die schwarz-blaue Ursünde: Der Eurofighter

Der Kauf des Draken-Nachfolgers im Jahr 2002 stellt einen der schwersten Korruptionsverdachtsmomente der schwarz-blauen Regierung dar. Zwar konnten bis heute gerichtlich keine Einzelpersonen überführt werden, die Protokolle des entsprechenden Untersuchungsausschusses lassen aber anderes vermuten. Die Durchsicht dieser Protokolle und der Rechnungshofbericht zum Thema vermitteln einen Eindruck über den Preisunterschied zwischen dem Eurofighter und dem Konkurrenzprodukt Gripen. Der ehemalige Finanzminister Grasser zitierte im Untersuchungsausschuss aus einem eigenen Aktenvermerk (Protokoll 19. Sitzung, Seite 74) und nennt einen Anschaffungspreis für den Eurofighter von 2,767 Mrd. €, für den Gripen 2,678 Mrd. € und für die amerikanische F-16 (schieden später im Bieterverfahren wegen technischer Gründe aus) 2,425 bzw. 1,024 Mrd. €. Bei den jährlichen Betriebskosten ermittelte der Rechnungshof Werte von 37,3 Mio. € für den Gripen (entspricht 1,119 Mrd. € über die geplante Lebensdauer von 30 Jahren) und 71,5 Mio. € für den Eurofighter (macht 2,145 Mrd. € über 30 Jahre) (Rechnungshofbericht, Seite 12). Der RH merkt an, dass diese Zahlen für einen Vergleich der Flieger nicht von ausreichender Qualität gewesen seien und daher die Betriebskosten im weiteren Entscheidungsprozess nicht berücksichtigt werden konnten1. Im Gegensatz dazu sagte der damalige Ministerialrat Karl Hofer (Bundesministerium für Landesverteidigung) im Untersuchungsausschuss aus, dass diese Zahlen sehr wohl für eine Abschätzung der tatsächlichen Betriebskosten tauglich gewesen wären (Protokoll 12. Sitzung, Seite 29). Die Entscheidung für den Gripen wäre gemäß diesen Unterlagen also um rund 1,1 Mrd. € günstiger gewesen2. Die Ersparnis wäre bei einem Totalverzicht auf Abfangjäger (und einer etwaigen Verfassungsänderung), oder auch einer technisch weniger ausgefeilten F-16-Variante, entsprechend höher gelegen. Sofern also die Entscheidung zum Kauf des Eurofighters durch Schmiergeldzahlungen beeinflusst wurde, beläuft sich der Schaden durch Korruption in diesem Fall auf die vorher genannten Summen.

Privatisierungen: Ein Kernthema der Ära Schüssel

Es war eines der erklärten Ziele von Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel: Die Privatisierung der (teil)verstaatlichten Industrie. Dementsprechend hurtig wurde auch mit der Umsetzung begonnen. Das Resultat ist beeindruckend: In den Jahren 2000 bis 2006 erlöste die ÖIAG fast 6,4 Mrd. € aus Privatisierungen (siehe hier). Unter anderem wurde in dieser Zeit der Stahlkonzern voest alpine zur Gänze privat. Für 34,65% der Anteile erhielt die ÖIAG 492 Millionen €. Obwohl bei dieser Privatisierung keine Ungereimtheiten bekannt sind (im Gegensatz zur BUWOG3), stellt sich dieses Geschäft im Nachhinein als herber Verlust dar. Der Grund dafür ist die positive Entwicklung des Konzerns. Stellt man die entgangenen Dividenden und die Wertsteigerung durch einbehaltene Gewinne dem Verkaufserlös entgegen, ergibt sich ein düsteres Bild. Seit dem ersten Geschäftsjahr ohne Staatsbeteiligung (2004/2005) erwirtschaftete das Unternehmen Gewinne von rund 3,6 Milliarden € (siehe hier). Der ÖIAG-Anteil würde dementsprechend rund 1,2 Mrd. € betragen. Vermindert um den Verkaufserlös und die Zinsersparnis (der Erlös verringerte die Neuverschuldung, angenommene Verzinsung von 3,5%) ergibt sich ein sehr konservativ berechneter Verlust von 607 Millionen €4. Da auch eine Reihe weiterer gewinnträchtiger Unternehmen, wie die Austria Tabak, die VA Tech oder die Telekom, verkauft wurden, kann man die kumulierten Auswirkungen dieser Privatisierungswelle nur erahnen.

Wettbüro ÖBB

Im Zuge der allgemeinen Finanzmarkt-Euphorie veranlagte die Bundesbahn im Jahr 2005 Erlöse aus Cross-Border-Leasing-Geschäften (siehe Wikipedia) über die Deutsche Bank in ein Kreditderivat (CDO – Collateralized Debt Obligation5). Die ÖBB versicherte dabei ein Portfolio von 205 Staats- und Unternehmensanleihen mit einem Volumen von 613 Millionen €. Für den Fall, dass mehr als 8 der enthaltenen Anleihen aufgrund der Pleite der EmittentInnen wertlos würden, hätte die ÖBB Verluste bis hin zum Gesamtvolumen tragen müssen. Als „Gegenleistung“ erhielt die Bahn eine Risikoprämie von 37 Millionen €. Allerdings über die Jahre 2005 bis 2015 verteilt (alle Details siehe RH-Bericht). Die „Verzinsung“ betrug also weniger als 0,6% jährlich. Hätte die ÖBB demnach nicht diese Hochrisikoderivate gekauft, sondern die Cross-Boarder-Leasing Erlöse einfach auf ein normales Sparbuch gelegt, hätten sie quasi ohne Risiko höhere Zinsen bekommen. Die Finanzkrise machte der ÖBB jedoch einen Strich durch die Rechnung und es drohten massive Verluste. Der damalige Vorstand, Martin Huber, versicherte, er habe von dem Geschäftsabschluss nichts gewusst. Doch obwohl der Vorstand (also Huber) spätestens am 11. November 2005 vom Zustandekommen dieses Geschäfts wusste (an diesem Tag informierte er den Aufsichtsrat), wurde bis Mitte 2008 keine Entscheidung zum Abbau dieser Risiken getroffen (siehe RH-Bericht, Seiten 22 und 23). Das Ende der Geschichte ist bekannt: Nach einem langjährigen Rechtsstreit mit der Deutschen Bank stieg die ÖBB gegen eine Zahlung von 295 Millionen € aus dem Geschäft aus.

Außer Spesen nichts gewesen?

Diese drei Beispiele liefern zwei wichtige Erkenntnisse. Erstens: Die Republik wurde weniger durch die Provisionszahlungen an die ProtagonistInnen6 der diversen Skandale geschädigt, als durch die Auswirkungen von (wahrscheinlich) korrupten Machenschaften wie dem Eurofighter-Kauf. Zweitens: Die Kosten, welche durch grundlegende politische Entscheidungen (hier am Beispiel Privatisierung gezeigt) und Misswirtschaft (hier am Beispiel ÖBB) verursacht wurden, sind beachtlich. Vor dem Hintergrund, dass die Causa Eurofighter vermutlich bei weitem das größte Schadenspotential aller schwarz-blauen „Ungereimtheiten“ hat, ist es nicht unwahrscheinlich, dass durch Misswirtschaft bzw. prinzipiell „falscher“ Politik das Land weitaus mehr geschädigt wurde (man denke nur an die verspekulierten Wohnbaugelder in NÖ in Höhe von 1 Mrd. €, die Bankenrettungen von Hypo Alpe Adria und Kommunalkredit, oder die Vielzahl an hier nicht betrachteten weiteren Privatisierungen). Umso wichtiger ist, dass die öffentliche Debatte nicht nur auf die Provisionszahlungen an die beteiligten PolitikerInnen und LobyistInnen abzielt, sondern die tatsächlichen finanziellen Auswirkungen dieser Skandale thematisiert. Geld das der öffentlichen Hand durch oben beschriebene Formen von Korruption, Misswirtschaft oder schlicht schlechter Politik entgeht, fehlt an anderen Stellen, wo es sinnvoll in Bildung oder Forschung investiert werden könnte. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob im Zuge einer „Anti-Korruptions-Reform“ nicht auch Überlegungen angestellt werden müssen, die es erlauben, Misswirtschaft wirklich zu ahnden, anstatt zu belohnen, um die nötigen negativen Anreize gegen solches Verhalten zu schaffen (ÖBB-Vorstand und ÖVP-Mitglied Huber schied mit 370.000 € Abfertigung aus dem Konzern aus).

1Der Rechnungshof schreibt, dass diese Zahlen nur einen Teil der tatsächlichen Betriebskosten darstellten und somit keine fundierte Aussage über die tatsächlich zukünftig anfallenden Betriebskosten gemacht werden konnte.

2Die tatsächliche Stückzahl wurde später auf 15 Eurofighter reduziert, da jedoch keine Neuausschreibung stattfand, können nur die Preise für 24 Flugzeuge verglichen werden.

3Es besteht der Verdacht, dass im Zuge der BUWOG Privatisierung das Verkaufsverfahren vom damaligen Finanzminister Grasser beeinflusst wurde und als Gegenleistung € 10 Millionen an Provisionen in sein Umfeld geflossen sind.

4Dies sollte auch nicht verwundern, lag der Buchwert des ÖIAG-Anteils zum Verkaufszeitpunkt immerhin bei 619 Millionen € sowie der geschätzte Wert des Anteils (anhand aktueller und vergangener Cash-Flows) bei fast 900 Millionen € (siehe hier) – also in beiden Fällen wesentlich unter dem Verkaufspreis (492 Mio €).

5Es handelte sich um einen Hybrid-CDO2, also einen CDO, der wiederum aus anderen Derivaten, in diesem Fall aus Kreditausfallsversicherungen, bestand.

6Ich meine jene deren Namen immer wieder auftauchen: Meischberger, Hochegger, Grasser, Mennsdorff-Pouilly usw. Siehe dazu diesen (leider nicht vollständig im Netz verfügbaren) Falter Artikel.

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3 Responses to Transparenz und Korruption #1: Eine irr-geleitete Debatte

  1. valentin 1. Mai 2012 at 00:26 #

    @Alexander: Ich sehe durchaus einen direkten Zusammenhang zwischen Privatisierungen und Korruption. Privatisierungen bieten oft erst die Möglichkeit groß angelegter Korruption. Erst ein Geschäft um Hunderte Millionen Euro ermöglicht richtig fette Schmiergelder.

    Konkreter: Ohne einen 961-Millionen-BUWOG-Deal hätte niemand einem Hochegger/Meischberger 10 Millionen gezahlt.

    Privatisierungen sind das ideale Umfeld für korrupte PolitikerInnen, auch wenn es natürlich nicht immer zu tatsächlicher Korruption führen muss. Kein Automatismus, aber günstige Bedingungen.

  2. rafi 23. April 2012 at 19:56 #

    Die VÖST Privatisierung habe ich als Beispiel genommen um zu zeigen, dass auch bei einer formal korrekten Abwicklung von Privatisierungen ohne Korruption (sprich der Verkaufsprozess wird nicht aufgrund von Provisionszahlungen oder sonstigen Gefälligkeiten beeinflusst) für den Staat große Schäden entstehen können.

    Mir geht es auch gar nicht darum zu argumentieren, dass Privatisierungen prinzipiell schlecht sind, es mag Situationen geben wo es sinnvoll ist. Meine Kritik an der VÖST Privatisierung ist der bei weitem zu geringe Preis. Wenn ich sogar unter Buchwert verkaufe, dann ist das ein Verlustgeschäft. Ein potentieller Produktivitätsschub aufgrund der dann rein privaten EigentümerInnenstruktur wird daran nichts ändern. Darüber hinaus denke ich, dass das Management der VÖST durch den 30% ÖIAG Anteil nicht behindert oder als Arbeitsplatzbeschaffung mißbraucht wurde. Diese Kritik mag bis in die 80er zutreffend (und auch berechtigt) gewesen sein, aber nicht die letzten 10 Jahre vor der Privatisierung.

    Das VÖST Bsp dient also dazu zu zeigen, dass Korruption zwar viel Schaden anrichten kann (siehe das Eurofighter Bsp), aber dass ähnliche bzw. höhere Summen auch durch eine falsche Politik (= zu billiger VÖST Verkauf) oder Misswirtschaft (ÖBB Bsp) entstehen, aber dieser Aspekt in der öffentlichen Debatte zu kurz kommt.

    lg

  3. Alexander Flendrovsky 23. April 2012 at 14:33 #

    Der Artikel ist erkennbar um Seriosität bemüht, was auch die umfassende Angabe nachvollziehbarer Quellen zeigt. Nur: Der Zusammenhang zwischen Privatisierungen im Allgemeinen und Korruption ist mir nicht klar. Wenn du einräumst, dass der Privatisierungsvorgang an sich bei der VA Tech ok war, dann ist Privatisierung tendenziell ein Schritt weg von der Korruption. Denn private Eigentümer und die von ihnen bestimmten Aufsichtsräte und Vorstände sind von Staat und Parteien jedenfalls formal unabhängig. Keine Partei kann mehr ihre Leute dorthin setzen. Daher besteht auch kein „Verpflichtungsgefühl“ in dem Sinn, dass die Manager das Gefühl haben, etwas für ihre Förderer in Staat und Parteien tun zu müssen. Damit kannst du zwar klassische Bestechung immer noch nicht ausschließen, aber immerhin viele Ursachen der jetzigen Korruptionsskandale. Wenn Faymann und Ostermayer etwa – mittlerweile unbestritten – klar gemacht haben, dass die Manager (bei ÖBB und ASFINAG) ihre Jobs verlieren werden, wenn sie nicht die gewünschten Inserate schalten.

    Und zu den Dividenden: Niemand weiß, ob sich das Unternehmen mit Staatsanteil auch so positiv entwickelt hätte. Und der Staat ist nun einmal kein guter Eigentümer bei Unternehmen, die in Konkurrenz zu (Voll-)Privaten stehen, weil er nicht nur den Gewinn im Auge haben kann. Ich weiß, über Letzteres kann man viel diskutieren, aber fazit: Korrekt abgewickelte Privatisierungen verringern tendenziell die Korruptionsanfälligkeit.

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