Diese Woche in den Links der Woche: Berichte und Fotos von den europäischen Außengrenzen in Italien, Griechenland, Mazedonien und Ungarn und die derzeitigen politischen Entwicklungen im Bereich der Flüchtlingspolitik zwischen den EU-Mitgliedsstaaten. Eine Erinnerung an Semantik. Und eine Reportage über die neuen Freizügigkeitsbestimmungen in Deutschland.
Außerdem: die Wiener Polizei berichtet weit mehr über Handtaschendiebstähle als Vergewaltigung, mehr über Drogenkriminalität als über rassistische Gewalt. New Orleans ist seit Katrina in rasender Geschwindigkeit zur neoliberalsten Stadt der Vereinigten Staaten geworden, und in Großbritannien hat Tony Blair große Angst vor Jeremy Corbyn.
Inhalt
Asyl und Flucht
Schlepperei ist per Definition immer auch Fluchthilfe, das gebietet die Logik. Egal wie sehr man die Kriminalisierung der Schlepper bemüht, egal wie reich einzelne Kriminelle dadurch werden, das Geschäft mit dem Überleben gibt es in der Intensität nur, weil das Menschenrecht auf Asyl verwehrt wird. Wer vor Krieg flieht, wird vor Stacheldraht nicht Halt machen.
„A migrant chooses to leave, whereas a refugee is forced to leave.“ Ein guter Artikel im Independent zur Herkunft der Begriffe, was sie implizieren und weshalb es deswegen unerlässlich ist, auf das richtige Vokabular zu achten.
Weil die Macht der Bilder letzte Woche gezeigt hat, dass nur zu uns vordringt, was direkt bei uns passiert, einige Bilder zur Veranschaulichung der Lage in Ungarn, Mazedonien, Griechenland und Italien. In Ungarn will die Regierung bereits die illegale Einreise unter Strafe stellen: aus Mangel an legalen Alternativen ist derzeit jede Einreise für Flüchtlinge illegal.
Eine Ansichtssache zur Lage an der Grenze zwischen Mazedonien und Griechenland.
Eine europäische Geschichte aus Sizilien in diesem Artikel der Daily Mail: Von einem Schiff im Mittelmeer mit mehrheitlich kurdischen Flüchtlingen wird eine Mutter mit ihrem Kind ausgeflogen, nachdem sie es an Bord des mit knapp 1000 Personen beladenen Schiffs geboren hat. Als ob das nicht irre genug wäre: der schiere Wahnsinn danach zeigt die unglaublichen Widersprüche des derzeitigen Status Quo. Einige der Flüchtlinge an Bord drohen gegenüber der näherkommenden Küstenwache ihre Kinder ins Wasser zu werfen, sollte man sie zum Umdrehen zwingen. Daraufhin lässt man sie durch. Ein Sprecher der Küstenwache sagt ganz offen: ‚I understand they are mostly Kurds and many have said they were using Italy as an entry point before heading towards Britain.‘ Die italienische Küstenwache war von einem französischen Kriegsschiff verständigt worden, und auf dem Radar der Behörden ist das Schiff überhaupt nur gewesen, weil man vermutet hatte, dass sich darauf ein international gesuchter Krimineller befindet. Im sizilianischen Hafen angekommen werden die Flüchtenden dann vom Erzbischof empfangen, der sich solidarisch zeigen will und daran erinnert, dass im letzten Jahrhundert auch viele Menschen aus Italien fliehen mussten.
Die Offenheit, mit der in ganz Europa das Dublin-Regime de facto außer Kraft gesetzt wird, zeigt, dass es bereits toter als tot ist. Eine reale Gefahr ist, dass es die Freizügigkeit mit in den Tod reißt. Eine Reportage in der taz über die Auswirkungen der Änderungen der deutschen Regierung des Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern, wonach nun ausgewiesen werden kann, wer länger als sechs Monate einen Job in einem anderen EU-Land sucht.
Zumindest sprachlich führt die Flucht von 200,000 Menschen in einen Wirtschaftsraum von 500 Millionen zu einem schärferen Ton auf Ebene der RegierungschefInnen und MinisterInnen, der in der Griechenlandkrise auch nach Jahren noch ausbleibt. Der französische Innenminister Laurent Fabius nennt es skandalös, dass einige östliche Mitgliedstaaten sich weigern, MigrantInnen aufzunehmen.
Die Slowakei versucht in der Zwischenzeit mit Ungarn, Polen und der Tschechischen Republik eine gemeinsame Opposition zu bilden, die verpflichtende Quoten zur Unterbringung von Flüchtlingen für alle EU-Mitgliedsstaaten blockieren wird. Der slowakische Premier Robert Fico dazu plump und rassistisch: „Wenn ein Mechanismus zur automatischen Verteilung von MigrantInnen vereinbart wird, werden wir eines Tages aufwachen und 100,000 Menschen aus der arabischen Welt haben und das ist ein Problem, dass ich mir für die Slowakei nicht wünsche.“ Dann sagt er etwas, dass dazu im kompletten Widerspruch steht: „Wir sind bereit, zu tun, was nötig ist und was innerhalb unserer Möglichkeiten liegt. Teilt die Menschen, die wirklich Hilfe benötigen, von den Wirtschaftsflüchtlingen.“ Die Gruppe, die derzeit am dringendsten Hilfe braucht, ist jene der SyrerInnen, und die sind aus der arabischen Welt. Die von Fico gegründete SMER-SD sitzt im Europaparlament in der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Europas.
Michael Völker kommentiert im Standard, was das Versagen der Bundesregierung für die Wahlkämpfe in Wien und Oberösterreich bedeutet und wie Pühringer und Häupl jetzt dagegen halten sollten.
„Im Netz kursiert ein detaillierter Leitfaden der Neonazipartei „Der Dritte Weg“ mit dem Titel „Kein Asylantenheim in meiner Nachbarschaft! Wie bebeziehungsweise verhindere ich die Errichtung eines Asylantenheims in meiner Nachbarschaft“. Darin wird die Gründung einer Facebook-Gruppe und die Vernetzung mit anderen Anti-Asyl-Initiativen empfohlen. Die Professionalität der Broschüre überrascht ebenso wie die Paragrafensicherheit im Text und die umfangreichen Musterformulare. Aber insbesondere durch den zwischen den Zeilen herausquellenden, blanken Hass liest sich das Papier wie eine Anleitung für genau die Communitys, in denen gewalttätige Aktionen wie in Heidenau organisiert werden.“ Ein Spiegel-Artikel.
Polizei
Welcher Bezirk ist eigentlich der gefährlichste in ganz Wien? Favoriten? Meinen die meisten, wahr ist: In der Innenstadt gibt es mit Abstand die meisten Anzeigen pro EinwohnerIn, auf Platz Zwei rangiert das schmucke Neubau. Aber warum glauben wir dann, dass es in den ärmeren Gegenden Wiens mehr Kriminalität gibt? Unter anderem, weil die Polizei hauptsächlich darüber berichtet. Das hat das gemeinnützige Recherchezentrum correct!v für die Jahre 2013 und 2014 anhand von Presseaussendungen der Wiener Polizei recherchiert, wo 2000 Pressemitteilungen 200.000 Anzeigen gegenüberstehen. Die Polizei inszeniert sich gerne in „Soko-Kitzbühel-Kriminalität“ – aufgeklärte Drogendelikte und Handtaschenraube lassen die Polizei gut dastehen. Mit der Realität in Bezirken und dem täglich Brot der Polizeiarbeit hat das freilich wenig zu tun. „Die Pressemitteilungen der Polizei manipulieren unsere Wahrnehmung von Verbrechen“, so die JournalistInnen zu dem Projekt.
Geheimdienste
In Deutschland will die große Koalition dem ausufernden Kontrollverlust des Parlaments über die Geheimdienste durch die Bestellung von Ständigen Sachvertretern beikommen. Ein Beitrag in der Zeit erklärt die 20-jährige Geschichte dieses Reformvorschlages und seine Aussichten auf Erfolg: „Selbst im besten Fall wird der „Ständige Sachverständige“ nicht so unabhängig wie der Wehrbeauftragte agieren, wird nicht nach außen auftreten und keine eigenen Bewertungen abgeben dürfen. Die Abgeordneten wollen ihre Kontrollmacht nicht aus der Hand geben. Herauskommen wird deshalb allenfalls ein Sachverständiger light. Gleichwohl wäre bereits das ein riesiger Fortschritt.“
Großbritannien
„You have to remember,“ says someone who knows him, „that the great passion in his life is his hatred of the Labour Party“. Gemeint ist Tony Blair. Nachdem dieser am Wochenende im Observer einen weiteren Angriff auf Jeremy Corbyn’s ‚Realität‘ startete und vor seiner Wahl zum Vorsitzenden warnte, hier ein interessantes Porträt Blairs anno 1996 (inklusive kurze Geschichte der Labour Party).
Liam Kirkaldy schrieb im Holyrood Magazine über Tony Blair’s Interview im Juli, in dem er behauptete, zu wissen wie Labour die Wahl gewinnen könne und Herztransplante empfahl (hier das ganze Interview für jene, die eine Stunde zu opfern bereit sind: , die Kurzfassung hier, https://www.holyrood.com/articles/comment/tony-blairs-guide-saving-labour
Wirtschaftspolitik
James Galbraith und Daniel Munevar haben Yanis Varoufakis in den Verhandlungen mit der Troika unterstützt. Im DissentMagazine erklären sie aus ihrer Perspektive, was das jüngste griechische Memorandum bedeutet.
Transformation
Nichts sind geeignetere Bedingungen für neoliberale Politik als eine Tabula Rasa. Die gab es in New Orleans nach dem folgenschweren Hurrikan Katrina im Jahr 2004. Was seitdem geschehen ist, dem widmet sich eine dreiteilige In den knapp zehn Jahren, die seitdem vergangen sind, ist New Orleans mit rasender Geschwindigkeit zur neoliberalsten Stadt der Vereinigten Staaten geworden, schreibt die Historikerin Megan French-Marcelin im Jacobinmag. Der Historiker Thomas Jessen Adams bläst ins selbe Horn: „The language of social justice has been used to sell intensified neoliberalism in post-Katrina New Orleans“. Im dritten Beitrag zum Thema befasst sich der Soziologe Jay Arena insbesondere mit der Lage am Wohnungsmarkt, über den eine regelrecht revanchistische Agenda hereingebrochen ist, seit Konservative mutmaßten, der Grund für die horrende und vergleichsweise starke Zerstörung der armen Gegenden durch Katrina läge nicht etwa an der Bauweise der Gebäude oder deren Nähe zum Dammbruch, sondern Gottes Werk. Seit dem Sturm hat sich der Anteil jener, deren monatliche finanzielle Belastung zu über 50% durch die Miete verursacht wird, sprungartig vervielfacht – mehr als ein Drittel aller MieterInnen von New Orleans gehören zu jener Kategorie der ’severely rent-burdened‘.
Ideologie und Geschichte
Nichole Aschoff, Redakteurin beim Jacobinmag, hat ein Buch namens ‚The New Prophets of Capital‘ geschrieben, das die Rhetorik kapitalistischer ‚ProphetInnen‘ wie Oprah, Sheryl Sandberg, Zuckerberg oder Gates ins Visier nimmt. Der Kapitalismus, so Aschoff’s zentrale Annahme, braucht motivierende Einzelfall-Geschichten wie ein Fisch das Wasser. Der kreative Kapitalismus, den diese glücklichen Einzelfälle beschwören, ist in der Realität kein häufiges Vorkommnis, ihr Einstehen dafür bestärkt aber viele Menschen in der Annahme, dass der Kapitalismus die beste und einzig mögliche Variante zur Organisation der Gesellschaft ist.
Der für seine legendäre Arbeit im Bereich Arbeitsrecht und Menschenrechte berühmte Anwalt Sir Bob Hepple ist im Alter von 81 Jahren gestorben. Auf den Seiten der Cambridge University kann man die Stationen seines bewegten Lebens nachlesen.
Wohnen
Franz Nauschnigg fordert in einem lesenswerten Kommentar der Anderen im Standard eine ASFINAG für den sozialen Wohnbau.
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