Jour Fixe vom 18.01.2024 “Antisemitismus in linken Kreisen: Ursachen, Narrative und Akteure” – mit Andreas Peham – Persönliche Eindrücke

Vorneweg: Andreas Peham  ist kein Anhänger der Hufeisen-Theorie, nach derer die radikale Linke genauso schlimm wie die extreme Rechte ist. 

Wenn er den Antisemitismus, der am extremen linken Rand wieder ansteigt, zeichnet, sieht das so aus im Vergleich zum rechten Rand.

Peham vermutet, dass antisemitische Tendenzen ein Resultat von autoritären Strukturen sind und deswegen vor allem in besonders rigiden und dogmatischen Strömungen auftreten. 

Konkrete Ratschläge

Was ich mir mitgenommen habe ist dass laut Peham eine Personalisierung der gegnerischen Ideologie (egal ob Kapitalismus, Neoliberalismus oder sonstwas)  zum Beispiel durch Karikatur eher kritisch zu sehen ist, da es verdammt leicht ist durchaus auch versehentlich in historisch hereingewachsene antisemistische Klischees zu verfallen (und er hinterfragt ob man nicht grundsätzlich ohne diese Personalisierung auskommen sollte). 

Ich musste bei dem Thema auch ein wenig an die Personalisierung durch konkrete Personen denken, sei es die Obsession vieler Rechter mit George Soros, aber auch wie es sich oft anbietet die Kritik an der aktuellen Situationen an konkreten, bekannten Menschen wie Rene Benko, Elon Musk oder Didi Mateschitz aufzuhängen, 

Zurück zum Thema: 

Als gute Leitlinien um einzuschätzen ob etwas (inklusive der eigenen Meinung) Richtung Antisemitismus geht empfiehlt Peham die IHRA Defintion der International Holocaust Rememberance Alliance in der eplizit die Kritik am Staat Israel möglich ist:

Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten. Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden.  

https://holocaustremembrance.com/resources/arbeitsdefinition-antisemitismus

Als weitere Leitlinie nennt er die Drei D Regel. 

Der 3-D-Test für Antisemitismus ist eine Methode, um legitime Kritik an der Politik Israels bzw. an dessen Regierung von Antisemitismus zu unterscheiden, der sich nur als „Kritik“ ausgibt. Dazu stellt der Test drei Kriterien bereit: Wenn Aussagen Israel dämonisieren, delegitimieren oder doppelte Standards anlegen, dann sind diese antisemitisch. 

https://de.wikipedia.org/wiki/3-D-Test_für_Antisemitismus

Hier betont Peham, dass die 3D auch in einem Kontext gesehen werden müssen. Es macht einen großen Unterschied, ob wir hier im friedlichen Österreich eingeschmiegt in unsere warme Kuscheldecke Dämonisierung oder Diabolisierung betreiben oder ob das Menschen tun, die sich aktiv im Kriegsgebiet befinden. In einem Krieg wird immer von beiden Seiten die Dämonisierung des Gegners betrieben. 

Wie ist das jetzt mit dem Existenzrecht? 

Eine kleine Diskussion entspann sich über das Konzept vom Existenzrecht. Wenn ich sage dass ich mit dem Existenzrecht von Israel nichts anfangen kann weil ich an das Konzept Existenzrecht nicht glaube (also: Ungarn, Deutschland, Brasilien oder Uganda haben genauso viel oder so wenig Existenzrecht, dass in der Realpolitik eher um zb die militärische Durchsetzungsfähigkeit von Gruppen geht), ist dass das problematisch weil es Delegitimierung ist oder okay weil es kein Doppelstandard ist? 

Peham schien mit der Argumentationslinie kein großes Problem zu haben, wies aber auf die historische Besonderheit der Shoah hin, welche das Existenzrecht eines jüdischen Nationalstaates von anderen unterscheiden lasse. 

[meine persönliche Maxime hier ist dass ich, obwohl ich durchaus so eine Einstellung habe, keinen Sinn darin sehe eine abstrakte semantische Diskussion zu starten wenn es einerseits Menschen konkret schlecht geht und die Tatsache dass ich diese Meinung habe nicht wirklich dazu führt dass ich eine gravierend andere Position habe als die Menschen die die Einstellung vertreten oder ihre Position mit ihr begründen]

Denkanstöße

Peham unterscheidet zwischen den Konzepten: 

Judenfeindschaft (Antipathie im Kontext von einem konkreten zum Beispiel territorialen Konflikt) 

Antijüdischer Rassismus 

und

Antisemitismus

Antijüdischer Rassissmus unterscheidet hier sich vom Antisemitismus in dem er auf Juden herabblickt (zum Beispiel in dem man Juden mit Affen und Schweinen vergleicht, sie auf eine Stufe mit Tieren stellt). Rassismus blickt immer von oben herab. 

Das besondere am Antisemitismus ist aber dass er auch erhöht, indem er auch überhöht wenn er dämonisiert, diabolisiert und eine Gruppe eine Weltverschwörung zuschreibt. 

Wie umgehen mit Antisemitismusvorwürfen? 

Ähnlich wie beim Rassismus scheint es Menschen manchmal schwer zu fallen Kritik an etwas, was sie zur Schau stellen (sei es eine Aussage, ein Plakat, eine Karikatur) nicht als völlige Verdammnis ihrer selbst zu sehen. 

Peham schildert drei ältere Vorgänge in der österreichischen Politik (einmal mit der FPÖ, einmal mit den Grünen, einmal mit einer Sektion), wo er darauf hinwies, dass historische antisemitische Propaganda repliziert wurde. Reagieren kann man halt indem man abstreitet und ein großes Trara darum macht, das Posting still und leise löscht, oder halt zu einem gemeinsamen Treffen kommt wo man diskutiert wie man die gewollte politische Aussage auch ohne unabsichtlichen Antisemitismus hinkriegt. 

Weiterführende Literatur

Bevor ich weitere, möglicherweise irreführende Zusammenfassung seiner Punkte gebe, hier einige Literaturempfehlungen zu dem Thema von Peham selbst. 

Antisemitismus gegen Israel von Klaus Holz / Thomas Haury

Kreisky – Haider : Bruchlinien österreichischer Identitäten von Pelinka, Anton, Sickinger, Hubert, Stögner, Karin

Die Bücher von Jack Jacobs, zum Beispiel 

Jews and leftist politics : Judaism, Israel, antisemitism, and gender

Oder

Sozialisten und die „jüdische Frage“ nach Marx

Sowie Andreas Pehams eigene Publikationen, von denen etliche auf der Webseite des DÖW zu finden sind: https://www.doew.at/mitarbeiter-innen/andreas-peham 

Mehr Geschichtliches

Der Vortrag streifte viele spannende Eckpunkte in der Entstehungsgeschichte des Anti Semitismus, vom frühen, konkreter machtpolitischen Konflikten mit dem römischen Reich um das Abbildverbot, über die ideologische Rolle des Christentums bis zu Napoleon und Kolonialismus. 

Ich kann gar nicht hoffen, es korrekt weiterzugeben. Bei mir besonders hängen geblieben sind die Punkte: 

– Der Umgang mit dem Judentum begleitete die Linke schon seit Marx und es ist schade, dass viele den ursprünglichen Text von Marx referenzieren ohne sich damit zu beschäftigen wie sich die Meinung und Einstellung von Marx nach Publikation weiterentwickelte. 

– Dass das Thema Israel und Zionismus schon in der frühen österreichischen Sozialdemokratie die sich noch unter dem Monarchismus abspielte, schon ein hitziges Thema war im Umfeld der Debatte des Rechtes auf einen Staat von Ungarn, Tschechen etc. 

– Der Einfluss von ideologischen Konflikten (zb linker vs rechter Flügel) auf die Attitüden gegenüber Rückkehrern und solchen, die welche sein wollten nach dem zweiten Weltkrieg. 

Besonders schmerzhaft waren vermutlich verschiedene wenig schmeichelhafte Zitate zum Beispiel aus der Arbeiterzeitung, gerade aus der Zeit, als die Sozialdemokratie in politischer Konkurrenz zum erstarkenden Nationalsozialismus stand. Ich hinterfrage deswegen für mich selber, inwieweit es sinnvoll ist, einem Gegner mit schlechten Absichten vorzuwerfen, er würde seine schlechten Absichten nicht rigoros genug vertreten oder umsetzen.  

Vor Ort in den Klassenzimmern

Peham gab auch einen faszinierenden Einblick in seine Vermittlungsarbeit in Klassenzimmern, ein sehr spannendes Thema, zu dem man vermutlich nochmal einen Vortrag halten konnte. Gestreift wurden Themen wie verbreitete Missverständnisse oder Misinterpretation von Statistiken, Rolle von eigener Diskriminierungserfahrung, Sehnsucht nach Aufmerksamkeit für die eigenene Situation, Dynamiken zwischen den Geschlechtern, verfestigter versus oberflächlicher Antisemitismus, Einfluss und Positionierung von verschiedenen konkreten Vereinen, sowie Einfluss von internationaler Politik. 

Ein Nebensatz fürs Stammbuch

Irgendwo bei der Besprechung der Nachkriegszeit und der Entstehung des österreichischen Staates streifte Peham das Konzept der Schicksalsgemeinschaft. 

Schicksalsgemeinschaft als Gegenkonzept der aktuell propagierten Volksgemeinschaft des Ethnonationalismus? Vielleicht ein Gedanke, über den sich das Nachdenken lohnt. 

Die Notizen sind eine persönliche Sicht und geben ihre Eindrücke vom Vortrag wieder. Sie sammeln auch die Lese-Empfehlungen des Vortragenden während des Vortrags bzw verlinken auf erwähnte Theorien. Die Notizen sind als Service und Gedächtnisstütze zu verstehen, erheben aber keinen Anspruch den Vortragenden vollkommen korrekt zu zitieren.

Verfasst von Sophie.

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