Vor den EU-Wahlen zeigt sich in europäischen Umfragen, dass die Konservativen in Straßburg eindeutig die größte Fraktion bleiben werden. Anhand von SPD und SPÖ kann exemplarisch erklärt werden wieso trotz Finanzkrise und Verteilungsdebatte kein neues sozialdemokratisches Zeitalter anbrechen wird.
Nikolaus Kowall*
Eigentlich, so denkt man, müsste die Sozialdemokratie in Europa dieser Monate ein leichtes Spiel haben. Zum zweiten Mal in 80 Jahren scheitert ein aggressiver Wirtschaftsliberalismus, gleichzeitig scheint in den USA ein nachhaltiger politischer Paradigmenwechsel vonstatten zu gehen. Banker/innen in der Londoner City müssen sich tarnen, in Frankreich mobilisieren die Gewerkschaften die Massen und in Österreich wollen selbst ÖVP-Landesorganisationen über Vermögenssteuern diskutieren. Das nennt man wohl Rückenwind. Sozialdemokratische Ideen haben derzeit Konjunktur, das Problem der namensmäßig zugehörigen Parteien ist nur, dass sie sich von selbigen zwecks „Regierungsfähigkeit“ schon längst entfernt haben. Vielleicht wäre die eine oder andere europäische SP in den letzten 20 Jahren nicht an der Regierung gewesen, wenn sie sich dem Zeitgeist entgegengestellt hätten. Schade für die jeweilige Führungsgarnitur der Partei, irrelevant für die sozialdemokratische Idee. Etliche Parteien der Arbeiter/innenbewegung hätten als konsequente Opposition wohl mehr bewirken können als in der Regierung.
Die radikalliberale SPD unter Gerhard Schröder hat etwa eine Politik betrieben, die deutsche Konservative wohl nie gewagt hätten: Steuersenkungen für die Wohlhabenden, Hartz IV für die Armen und als Folgen davon ein rasanter Anstieg von Armut und Einkommensungleichheit. Überdies kam es zu umfassenden Finanzmarktliberalisierungen und zur aktiven Forcierung der privaten Casinovorsorge (Stichwort Riester-Rente). Alle entsprechenden Statistiken machen klar: Rot-Grün war nichts weniger als der Thatcherismus Deutschlands. Wäre die SPD damals auf der richtigen Seite gestanden, bräuchte sie heute nur die Ernte einzuholen. Faktum ist, sie stand stets irgendwo und meist falsch. „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“ denkt sich Parteiführung im adenauerschen Sinne und warnt auf ihren aktuellen Plakaten vor Finanzhaien und Dumpinglöhnen. Die Bevölkerung dürfte das nicht schlucken, die SPD liegt aktuell zehn Prozent hinter der CDU. Die marktradikale FDP (!) liegt im Umfragehoch, weil die Deutschen dieser Partei die meiste Wirtschaftskompetenz zutrauen. Die Zündler werden zur Feuerwehr gemacht. Die Menschen können sich, vor allem weil die Sozialdemokratie die dazu notwendigen Ecken und Kanten gründlich geschliffen hat, politisch nicht mehr orientieren.
Die heimische SP hätte womöglich ein abgemildertes aber ähnliches Schicksal erlitten und es ist einem sogenannten „Betonschädel“ zu verdanken, dass ihr dieses erspart blieb. Rudolf Nürnberger wird vielleicht nicht als großer Visionär in die Geschichte eingehen, aber seine Weigerung im Jahre 2000 das Koalitionsabkommen mit der ÖVP zu unterzeichnen ist einer der Gründe dafür, warum die SPÖ – im Gegensatz zu ihrer deutschen Schwester – heute noch über Reste von Glaubwürdigkeit verfügt. Trotzdem hat auch die SPÖ zweifellos dazu beigetragen, viel von dem Kredit zu verspielen, den sie jetzt in der Krise brauchen könnte. Das BAWAG-Desaster, im Prinzip einer der Vorboten der Finanzkrise, haben Akteure aus dem SP-Umfeld fahrlässig mitverantwortet. Wesentliche Funktionäre leiteten die Privatisierung der Bank Austria ein und SP-Finanzminister haben die von WTO und EU eingeforderte Zurückdrängung von Kapitalsverkehrskontrollen in den 1990er-Jahren selbstverständlich mitgetragen. Der Parteivorsitzende steht im ständigen Verdacht auf Grund seiner Nähe zu Österreichs größtem Medienoligarchen nichts zu veranlassen, was dessen Stiftungsvermögen steuerlich stärker in die Verantwortung nehmen könnte. Eine von AK und ÖGB regelmäßig eingeforderte Verteilungsdebatte wurde ignoriert, die Politik der „Finanzialisierung“ hingegen mitgetragen.
Die europäische Sozialdemokratie hat in den letzten 20 Jahren nicht ihren spezifischen Weg moderat adaptiert, sondern ihre Werte dem Zeitgeist geopfert. Nun steht sie da und wundert sich, dass selbiger die Richtung ändert. Für staatliche Eingriffe bei der Konjunkturankurbelung, für Finanzmarktregulierung und Verteilungsgerechtigkeit? Waren das nicht Randthemen die man ATTAC, Caritas und KPÖ überlassen hatte? Jetzt soll man plötzlich solche Positionen vertreten? Abgesehen von einem kompletten Austausch des gesamten Führungspersonals gibt es eigentlich nur eine Möglichkeit, wie eine Partei einen solchen Kurswechsel glaubwürdig vertreten könnte: Ein öffentliches Eingeständnis der eigenen Fehler und ein Versprechen der Besserung. Verzeihung gibt es dann, wenn man sich aufrichtig einsichtig zeigt und alles getan wird um einen Neubeginn glaubwürdig einzuleiten.
Ein Kurswechsel bedeutet aber Vermögenssteuern nicht nur wie Günther Kräuter kürzlich in der Zeit im Bild 2, der „sozialpolitischen Hygiene“ wegen zu fordern. Vielmehr müsste die SPÖ mit aller Kraft für einen substantiellen Beitrag der Vermögenden zum Steueraufkommen einzutreten, um die Ungleichverteilung der letzten Jahre zu korrigieren. Ein Kurswechsel bedeutet überdies auf europäischer Ebene aktiv für eine koordinierte Steuer- und Lohnpolitik, für eine strikte Finanzmarktregulierung und eine Devisentransaktionssteuer einzutreten. Franz Voves der Initiator der jüngsten Verteilungsdiskussion hat in einem Interview mit dem „Standard“ völlig richtig angemerkt, dass die steigende Arbeitslosigkeit in den kommenden Monaten die SPÖ ohnedies zu Taten drängen wird. Klüger wäre es wohl, nach Jahrzehnten der Orientierungslosigkeit, richtig in die Offensive zu gehen und den alten roten Tanker jetzt schon auf den Kurs von morgen zu führen.
*Nikolaus Kowall ist Vorsitzender der Sektion 8 der SPÖ Alsergrund
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