Am 18. April 2013 berichtete uns Bruno Ciccaglione, in Wien lebender Aktivist des „Seattle to Brussels Network“ (www.s2bnetwork.org), von der fortwährenden und unter dem Schlagwort „Global Europe“ seit 2006 (de facto Scheitern der so genannten „Doha-Runde“ der Welthandelsorganisation WTO) intensivierten EU-Strategie, mit wachstumsträchtigeren außer-europäischen Ländern Freihandelsabkommen abzuschließen, die europäischen Investoren Absatz- und Rohstoffmärkte sichern sollen. Bisher sind zwischen der seit dem Lissabonner Vertrag nunmehr dafür allein zuständigen Europäischen Kommission und solchen außereuropäischen Ländern nur einige wenige derartige Abkommen zustande gekommen (z.B. mit Südkorea, Zentralamerika, Kolumbien-Peru, Singapur). Verhandlungen mit Indien stocken, solche mit arabischen post-revolutionären Transformationsländern sind geplant (bzw. beginnen demnächst mit Marokko). Auf Grund eines Kompromisses gelten daneben die mehr als 1200 bisher abgeschlossenen bilateralen Freihandelsabkommen zwischen einzelnen EU-Ländern mit außereuropäischen Ländern weiter, bzw. sind neue solche Abkommen mit Zustimmung der Kommission erlaubt (zuletzt zwischen Österreich und Nigerien).
von Gabriele Matzner
Stichwort Investitionsschutz
Problematisch an diesen Abkommen, bzw. an dieser Strategie, sind, neben der demokratie-fernen Intransparenz fast des gesamten Prozesses, der Fokus auf den Vorteil der „Investoren“ (FDIs, Foreign Direct Investors, zumeist Konzerne) und auf den in praktisch allen Abkommen enthaltenen Investitionsschutz. Demnach können ausländische (etwa europäische) investierende Konzerne unter Umgehung der lokalen Gerichtsbarkeit Staaten vor einem mit internationalen Anwaltsfirmen bestückten Schiedsgericht auf mitunter Milliarden € verklagen, wenn diese, beispielsweise im öffentlichen Interesse (Gesundheit, Umwelt etc.), gesetzliche und sonstige Maßnahmen ergreifen, die den Profit des Investors schmälern (könnten). Solche Klagen sind keine Seltenheit und können wirtschaftlich schwache Staaten hart treffen. Freilich drehen nun manche Zielländer der ausländischen Investitionen bisweilen den Spieß um und verklagen nach denselben Regeln ihrerseits westliche Staaten (aktuell Klage eines schwedischen Konzerns gegen Deutschland).
Das könnte zu einem Umdenken führen, das den Aktivisten aktuell auch im Hinblick auf die prekären post-revolutionären Entwicklungen in einigen arabischen Staaten (Ägypten, Jordanien, Marokko und Tunesien) und die mit diesen geplanten EU-Freihandelsabkommen („Deep and Comprehensive Free Trade Agreements, DCFTAS) notwendig erscheint. Schon die Konsequenzen der bisherigen Freihandelsbeziehungen der betroffenen Länder gehörten indirekt zu den auslösenden Faktoren der Aufstände. Eine Intensivierung dieser europäischen Politik mittels DSFTAS gefährdet die erforderliche sozial orientierte Reformpolitik und birgt den Keim der Radikalisierung mit negativen Auswirkungen auch auf die Herkunftsländer der Investitionen.
Negative Auswirkungen sind auch von dem lange geplanten Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU zu befürchten, nämlich eine normative „Konvergenz“ in Gestalt einer Nivellierung von Standards und Regulierungen nach unten, bzw. weiterer Abbau sozialstaatlicher Fundamente und umweltfreundlicher Regulierungen. Das Aktivistennetzwerk „Seattle to Brussels Network“ versucht beharrlich, die öffentliche Aufmerksamkeit auf die von den mainstream-Medien ignorierten Verhandlungen zu lenken. Die Sektion 8 wird die weiteren Entwicklungen im Auge behalten.
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