Die unglaubliche monetäre Subvention der Finanzwirtschaft

Österreich und alle anderen Euro-Staaten haben ein einfaches Finanzierungssystem. Die EZB leiht den Banken Geld, diese wiederum verleihen es an die Einzelstaaten weiter. Damit erhalten die Banken für eine Transaktion, die kaum mehr als einen Mausklick benötigt, eine gigantische Subvention – Geld, das im Staatshaushalt derzeit bitter abgeht. Nach einer Schätzung des Autors beträgt diese Summe für Österreich mehr als 4,5 Mrd. Euro.

Oliver Picek

Dieser Artikel ist in gekürzter Form als LeserInnenkommentar am 27.6.2011 auf derstandard.at erschienen.

Dass die Banken und die Finanzwirtschaft nicht gerade zu den am wenigsten vernetzten Institutionen innerhalb der Politik gehören, ist bekannt. Wenn alleine Raiffeisen beinahe Klubstatus im österreichischen Parlament hat, Christian Konrad zukünftige MinisterInnen anruft, und das Bankenpaket vor allem für damalige Verhältnisse ein Geschenk der Bundesregierung an die Banken war, so ist manchmal zweifelhaft, ob die Politik eigentlich noch die Macht im Staate hat.

Doch abseits dieser rezenten Aufregung gibt es eine viel größere Ungerechtigkeit, die jetzt vor allem im Zuge der knappen Mittel in der Zeit nach der Krise wieder zur Sprache kommt: Im Zuge der Euro-Einführung wurde nämlich ein System installiert, dass der Finanzwirtschaft jährlich Milliarden an unverdienten Einnahmen beschert.

Die neue europäische Zentralbank sollte – so dachte man vor 1999 – nicht die Aufgabe haben, ihre Mitgliedsstaaten zu finanzieren und deren Staatsanleihen kaufen. Ganz besonders wurde dies von den Hartwährungsländern, allen voran den Deutschen, gefordert, um die italienischen „Schuldenmacher und Währungsabwerter“ unter Kontrolle zu behalten. Deswegen steht im Statut der Europäischen Zentralbank (Art. 21.1), wie auch in den EU-Verträgen (Art. 123), dass es der EZB verboten ist, Staatsanleihen den Mitgliedsstaaten direkt bei der Ausgabe dieser Anleihen abzukaufen.

Das System läuft daher ersatzweise folgendermaßen: Wenn die Mitgliedsstaaten Geld benötigen, um ihre Defizite im Staatshaushalt zu finanzieren, können sie nicht direkt zu jenem staatlichen Organ gehen, das für das „Geld drucken“ zuständig ist, nämlich ihrer eigenen Zentralbank. Stattdessen finden sie sich in der Situation wieder, ihre Anleihen an private Banken verkaufen zu müssen, um an Geld zu kommen. Woher aber haben eigentlich die Banken dieses Geld? Im Endeffekt bekommen diese es auch nur von der Zentralbank, indem sie sich das Geld zum aktuellen Zinssatz von der EZB leihen. Mit einem Aufschlag verleihen die Privatbanken dann das Geld an die Staaten weiter.

Und dieser Aufschlag kostet den Staat Geld. Sehr viel Geld.

Der aktuelle Zinssatz der EZB ist 1,25%. Die durchschnittliche österreichische Staatschuld hingegen wurde 2010 mit 4,05% verzinst. Der Nettoaufwand für die Verzinsung der Schuld (inkl. sonstiger Aufwand) betrug 2009 laut Staatsschuldenausschuss (Tabelle 29 auf S. 75) 6,718 Mrd. Euro, und die gesamte (bereinigte) Finanzschuld 168,715 Mrd. Euro. Wäre die Zwischenfinanzierung durch die Privatbanken nicht erfolgt und hätten die Staaten gleich ihre Anleihen zu 1,25% Zinssatz an die Europäische bzw. Österreichische Zentralbank verkauft, hätte man sich daher 4,609 Mrd. Euro von den 6,718 Mrd. sparen können! Gegeben das Budgetdefizit 2009 von 9,607 Mrd. Euro (vor der Revision im März 2011), hätte man sich dadurch entweder fast die Hälfte des Defizits erspart, oder die 4,609 Mrd. Euro anderweitig sinnvoll investieren können, z.B. in die Universitäten, Kindergärten, usw. Für 2010 ist die errechnete Summe ähnlich hoch (4,728 Mrd. €).

Angesichts dieser Summen, die in anderen Euroländern ähnliche relative Dimensionen erreichen, ist es höchste Zeit, diese enorme Subvention der Banken abzustellen. Die EZB und die nationalen Zentralbanken müssen endlich auch in Europa wieder die Funktion erfüllen, für die Zentralbanken ursprünglich gegründet wurden: die günstige Staatsfinanzierung. Die Diskussion darüber ist zuletzt neu entflammt. Während der Autor auf diesem Blog vor kurzem schon einmal darauf hingewiesen hatte, gab es zuletzt eine exzellente Analyse auf den Nachdenkseiten mit Berechnungen für Deutschland. Bei Anne Will (Sendung vom 26. Juni zu Griechenland) hat dann auch Gregor Gysi diese Subvention zu einem Hauptthema seiner Argumentation gemacht. Zeit, dass auch die österreichische Politik sich dem Thema annimmt, auch wenn es ein europäisches ist!

Hintergrund:

Die neue europäische Zentralbank sollte – so dachte man vor 1999 – nicht die Aufgabe haben, ihre Mitgliedsstaaten zu finanzieren und deren Staatsanleihen kaufen. Ganz besonders wurde dies von den Hartwährungsländern, allen voran den Deutschen, gefordert, um die italienischen „Schuldenmacher und Währungsabwerter“ unter Kontrolle zu behalten. Die EZB sollte nicht dahingehend beeinflusst werden, eine wenig strenge Geldpolitik mit niedrigen Zinssätzen fahren zu müssen, weil sich ein Land zu hoch verschuldet hat.

Das Ziel dieses System war einfach: Macht ein Land höhere Schulden, so würden „die Märkte“ (also die Konsensmeinung einiger Analysten und Händler von ein paar Banken) es mit höheren Zinsaufschlägen und damit höheren Zinssätzen bestrafen. Diese höheren Zinsen sollten dann dazu führen, dass das Land die Warnung der Finanzmärkte versteht und von nun an sparsamer wird.

So weit so gut – zumindest in der Theorie. Schaut man sich aber an, was wirklich passiert ist, so bleibt einem ausschließlich festzustellen, dass das System völlig versagt hat. Zunächst ist einmal unklar, warum das Land, dass sich gerade höher verschuldet hat, das Warnsignal auch verstehen sollte und nicht einfach wie bisher weitermacht. Viel schwerwiegender wiegt allerdings, dass z.B. Griechenland gar kein Warnsignal von den Finanzmärkten bekommen hat! Die Zinssätze, die Griechenland auf seine Staatsschulden bezahlen musste, waren nicht weit weg von jenen des „sicheren“ Deutschlands. Die Banken haben nämlich bis zur Finanzkrise komplett ignoriert, dass die Leistungsbilanzdefizite und die staatlichen Schulden der südlichen Länder irgendwann zu Finanzkrisen führen könnten. Erst als es schon zu spät war und sich eine gefährliche Schuldendynamik in Griechenland abzeichnete, kam der vermeintliche „Warnschuss“, indem die Banken nun höhere Zinsen von Griechenland für seine Staatspapiere forderten. Was folgte, war aber weniger ein Warnschuss als eine standrechtliche Hinrichtung, denn in der unsicheren Situation verlangten „die Märkte“ von Griechenland so hohe Zinsen, dass es in jedem Fall pleite gegangen wäre!

Damit entfällt gänzlich die Berechtigung für das System, das der damalige deutsche Bundesbankpräsident Hans Tietmayer am Weltwirtschaftsforum in Davos 1996 mit den Worten einleitete: „Meine Herren [Politiker], Sie alle sind jetzt der Kontrolle der internationalen Finanzmärkte unterworfen.“

Tatsache nach der Finanzkrise ist auch, dass die EZB trotzdem derzeit rund 74 Mrd. Euro an Staatspapieren der Mitgliedsstaaten hält, allen voran 50 Mrd. an griechischen Anleihen. Sie sah sich also trotz aller Unabhängigkeit gezwungen, zum ersten Mal seit ihrer Gründung in einem speziellen Programm Staatsanleihen aufzukaufen und damit ihre eigenen Grundregeln in der Krise de facto aufzugeben. Dies war freilich aufgrund ihrer Statuen nur möglich, indem sie den privaten Banken, die den Griechen ihre Anleihen bereits abgekauft hatten, die Anleihen abnahm (eine weitere Subvention der Banken). Ziel davon war es, den Markt für griechische Staatsanleihen wieder in Gang zu bringen, was aber nicht funktioniert hat.

Das gesamte System ist damit in zweifacher Sicht gescheitert. Es hat in Boomphasen weder die Staaten abgehalten sich zu verschulden, noch die Banken, ihnen Geld zu niedrigen Zinsen aufzudrängen. In der Krise hingegen war es ohnehin notwendig, gegen die Regeln dieses Systems zu verstoßen, um die Wirtschaft zu retten.
Wenn nun aber die Geschichte gezeigt hat, dass die private Staatsfinanzierung durch Banken keinerlei ökonomisch begründbare Vorteile mehr bietet, und weder in Boom noch Krise irgendetwas leistet, dann gibt es auch keinen Grund dieses enorm teure und ineffiziente System weiterzuführen.

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