Was gibt’s noch zu sudern?

Selbst eingefleischte Gegner/innen der SPÖ-Regierungsbeteiligung und misstrauische Faymann-Kritiker/innen sind derzeit verdutzt. Sitzt die SPÖ-Führung mit dem Volksbegehren zur Finanztransaktionssteuer diesmal am richtigen Dampfer? Und darf man Faymann loben, wenn er einmal was richtig macht?

Nikolaus Kowall

Im Jahr 2007 kam es zur roten „Jänner-Katastrophe“. Die SPÖ-Führung hatte die Wahlen gewonnen aber die Regierungsverhandlungen verloren. In Folge der desaströsen Koalitionsbildung haben sich mehrere kritische SP-Initiativen gebildet, die vehement die Koppelung einer SP-Regierungsbeteiligung an die Umsetzung substantieller sozialdemokratischer Politik verlangten. Alfred Gusenbauer, der die SPÖ erpresste indem er sie vor vollendete Tatsachen stellte, verschwand im Sommer 2008 von der politischen Bühne. Mit der Kür von Werner Faymann fühlte man sich vom Regen in der Traufe. Der Neue mache die gleiche Politik, sei aber weniger tollpatschig und würde sich entsprechend länger halten können. Bis vor kurzem war das Misstrauen noch wasserdicht, selbst die jüngste Präsentation des Sieben-Punkte Programms zur Vermögensbesteuerung nahm man dem Kanzler nicht ab. Faymann bediene sich nur jener Phrasen die derzeit gut ankämen, er werde sich aber nicht ernsthaft für Vermögenssteuern einsetzen, so führende rote Ökonom/innen. Mit der Initiative zur Finanztransaktionsteuer und den letzten erfreulichen Auftritten in ZIB2 und Ö1-Mittagsjournal wird aber auch der gelernte SP-Fatalist langsam stutzig. Gibt’s derzeit nichts zu sudern?

Ist Werner Faymann ein totaler Pragmatiker der nur das tut was ihm nützt, oder ein Undercover-Sozi der sich erst mit der Krise aus seiner aalglatten Verkleidung traut? Im Prinzip ist das egal. Verschiedene Ziele sind über den gleichen Weg erreichbar. Realpolitik bedeutet zu begreifen, dass individuelle Motive zweitrangig sind wenn das richtige gemacht wird. Nach dem, Motto „dem guten Willen die offene Hand, dem schlechten die Faust“ (Georg von Vollmar), muss man die SPÖ-Führung schimpfen, wenn sie das Falsche macht. Wenn sie aber etwas richtig macht, darf man sie loben. Die jüngsten Initiativen des Bundeskanzlers verdienen Unterstützung. Continue Reading →

Continue Reading

US-Gesundheitsreform: Kommentierte Fakten

Leonhard Dobusch

Die Bedeutung der Health-Care-Abstimmung im US Repräsentantenhaus für Obamas Präsidentschaft und progressive Kräfte innerhalb und außerhalb von Amerika kann kaum überschätzt werden. Obama und die Demokraten waren hart genug, das Gesetz auch gegen den geballten, geschlossenen und radikalisierten Widerstand der US-Rechten durchzuziehen und haben damit demonstriert, dass es sich auszahlen kann, einen Konflikt nicht nur auszutragen sondern auch durchzustehen.

Gleichzeitig ist das letztlich beschlossene Gesetzeswerk unübersichtlich und wird auch von vielen US-Linken äußerst kritisch gesehen. Die folgende Liste an Fakten soll die Diskussion darüber versachlichen helfen und eine Übersicht darüber liefern, was am Ende eigentlich alles (nicht) beschlossen wurde. Die Liste gliedert sich in zwei Teile: (a) Veränderungen die in der beschlossenen Fassung bzw. nach Beschluss der Änderungen im Senat (wofür die einfache Mehrheit vonn 51 SenatorInnen reichen wird) in Kraft treten werden. (b) Punkte, die es nicht in das Gesetz geschafft haben.

(a) Beschlossene Änderungen

Die folgende Auswahl an wichtigen Änderungen sind im beschlossenen Entwurf enthalten (inklusive jener Änderungen, die noch von einer 51-Stimmen-Mehrheit im Senat abgesegnet werden müssen): Continue Reading →

Continue Reading

Irre ÖkonomInnen (2): Matthias Kräkel

Über politische Ökonomie lässt sich trefflich streiten. Über den Irrsinn manch ökonomischer Analysen aber nicht mehr. Eine Serie.

In einem Interview im Chancen-Teil der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ propagiert der Bonner Personalökonom Matthias Kräkel, dass es „die Besten“ in Wirtschaft und Politik oft nicht bis an die Spitze schaffen, weil sie „sich im Vorstellungsgespräch nicht so sehr an[strengen] wie ihre weniger begabten Konkurrenten“. Starke These. Nachfrage der Zeit-Interviewerin Sabine Hoffmann:

Zeit: Wo ist dieses Phönomen zu beobachten?
Kräkel: Besonders gut in der Politik. Bewerben sich beispielsweise zwei Juristen um den Parteivorsitz, gewinnt wahrscheinlich derjenige mit dem schlechteren Zeugnis: Er hat keine Wahlmöglichkeit, würde in der freien Wirtschaft wahrscheinlich nur einen schlechter bezahlten Job finden – und strengt sich deshalb im Wahlkampf umso mehr an. Anders ist das beim Topjuristen: Er weiß, dass er in einer renommierten Anwaltskanzlei mehr verdient als in der Politik und ist deshalb weniger motiviert, sich für den Parteivorsitz ins Zeug zu legen.

Aha. Abgesehen davon, ob bessere JuristInnen automatisch auch bessere Parteivorsitzende sind, stellt sich auch noch die Frage, warum solche „Topjuristen“ überhaupt noch in die Politik gehen sollen, wenn sie sowieso in der Privatwirtschaft mehr verdienen würden? Fragen, die leider ungestellt bleiben. Stattdessen:

Zeit: Wie erklären Sie sich das?
Kräkel: Meine These basiert auf der theoretischen Annahme, dass die Bewerber rein rational handeln: Sie wägen Nutzen und Kosten ab und versuchen, ihren Gesamtnutzen zu maximieren.

So weit, so (neo)klassisch-ökonomisch. In einer derartigen Fantasiewelt mag das also so sein. Kein Grund, konkrete Handlungsableitungen aus diesem netten Gedankenexperiment abzuleiten, oder? So geht das Interview jedenfalls weiter:

Zeit: Was passiert, wenn das Mittelmaß regiert?
Kräkel: Die Führungskräfte sind überfordert und treffen falsche Entscheidungen. Arbeitsplätze gehen verloren, Unternehmen investieren in die falschen Technologien.

Das erklärt natürlich so einiges. Aber was können wir dagegen tun?

Zeit: Ihr Lösungsvorschlag?
Kräkel: Eine leistungsgerechte Bezahlung, die abhängig ist von der Produktivität des Arbeitnehmers. Beispielsweise könnten Politiker anhand ihrer Umfrageergebnisse im Politbarometer entlohnt werden. Das wäre zwar radikal, macht aber Sinn.

Mit diesem „radikalen“ Lösungsvorschlag endet das Interview. Und nein, das Interview ist kein Fake. 1. April ist auch erst in knapp zwei Wochen.

Continue Reading

“eine süße, kleine Idee”

Die oberösterrichische SPÖ-Landtagsabgeordnete Gerti Jahn featured auf ihrem Blog ein Video mit Heike Makatsch und Jan Josef Liefers zum Thema Finanztransaktionssteuern. Das ganze ist Teil einer Kampagne von Attac Deutschland, Österreich sowie Friends of the Earth Europe unter dem Titel „Make Finance Work“ bzw. „Steuer gegen Armut„.

Wie es sich für eine internationale Kampagne für eine internationale Steuer gehört, gibt es das Video auch in Englisch, dort sprechen Richard Curtis and Bill Nighy von einer „Robin Hood Tax“:

Bitte mehr davon!

PS: Kleine Anmerkung am Rande: Wie sofort auffällt ist die deutsche Fassung ca. eine Minute kürzer als die englische. Was fehlt ist das erste Argument für die Einführung einer Transaktionssteuer in der englischen Fassung, nämlich dass der Bankensektor zuerst Milliarden an Nothilfen bekommen hat, sich dennoch weiterhin Milliarden an Bonuszahlungen ausschüttet und so zumindest einen kleinen Beitrag zur Krisenbewältigung leisten würde.

Continue Reading

Das Transferkonto und die Joanneum-Research-Studie: Ergänzende Kritik

Christopher Berka

Mein Gastkommentar in der Presse vom 23.01.2010 zum Thema Transferkonto lässt viele Fragen und teilweise auch Vorwürfe offen. Leider ergibt ein solcher Rahmen nicht die Möglichkeit alle Punkte in einer ansprechenden Ausführlichkeit zu diskutieren. Dieser Blog-Eintrag legt meine Thesen und Argumente zum tatsächlichen Hintergrund des Transferkontos sowie zur Kritik an der Transferstudie des Grazer Joanneum Research deshalb umfassender dar.

Zur Kritik an der Notwendigkeit und zum Hintergrund eines Transferkontos

Im Gastkommentar der Presse war der Fokus auf die  politischen Hintergründe des Transferkontos gerichtet und nicht auf die Kritik der Studie des Grazer Joanneum Research – es handelt sich dabei um einen politischen Kommentar (Die Überschrift wurde von der Presseredaktion von „Zu den wahren Hintergründen des Transferkontos“ auf „Profiteure kommen ungeschoren davon“ geändert).

Die Studie hätte methodisch sauberer durchgeführt werden müssen, worum es aber eigentlich geht sind die Hintergründe. Es ist denkbar, dass die Transferkontostudie völlig unabhängig von Wirtschafts- und Budgetkrise so stark von der ÖVP in die Öffentlichkeit getragen wurde und wird. Es ist legitim zu glauben, dass einige Menschen im Kummer-Institut bzw. innerhalb der ÖVP dieser Studie einen hohen wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Wert beimessen und sie deshalb so stark befördern. In meiner subjektiven Wahrnehmung (Irrtum ist immer und jederzeit möglich) kann ich diese Story lediglich nicht glauben. Österreich steht vor einer der größten budgetpolitischen Herausforderung der letzten Jahrzehnte. Eine Konsolidierung ab 2011-2012 wird unumgänglich sein. Einsparungen in der öffentlichen Verwaltung werden nicht ausreichen – zusätzliche Leistungskürzungen bzw. Steuererhöhungen werden notwendig sein, um den Staatshaushalt zu konsolidieren, alleine um die Vorgaben des Stabilitätspaktes zu erfüllen.

Die Hartnäckigkeit mit welcher eine inhaltlich und methodisch so fragwürdige Studie in der Öffentlichkeit breit getreten wird, ist für mich ein klares Indiz für eine langfristige Strategie mit einem ganz konkreten Ziel. Der Weg der Argumentation, der hier so konsequent bestritten wird soll dazu dienen die Kürzungen von Sozialausgaben mithilfe einer irreführenden Leistungsgerechtigkeitsdebatte zu legitimieren.

Dabei ist es politisch vollkommen legitim und für eine konservative Partei wie die ÖVP nur konsequent Kürzungen der Staats- bzw. Sozialausgaben zu verlangen, aber dann sollte dies (Transparenz!) seitens der BefürworterInnen auch klar der Bevölkerung mitgeteilt werden.

Continue Reading →

Continue Reading

Und sie bewegt sich doch!

Leonhard Dobusch

Für Politik im allgemeinen und die Sozialdemokratie im besonderen gilt, dass sich beklagen einfach und sinnlos, etwas dagegen tun schwierig und sinnvoll ist. Umso erfreulicher ist es dafür, wenn Kritik in konstruktive Initiativen mündet. Gleich zwei derartige Initiativen laden nun zur Mitwirkung ein, die eine zum ersten, die andere bereits zum dritten Mal:

Denkfabriken

Auf Einladung der Sozialistischen Jugend (SJ) findet am 13. Jänner, 19.00 Uhr im Wiener Rabenhof, die Auftaktveranstaltung zur Denkfabrik statt:

„Die Denkfabrik“ versteht sich als Plattform für Diskussionen auf breiter Ebene. Wir wollen die Herausforderungen und Problemstellungen für die Sozialdemokratie gemeinsam mit allen, die mitmachen wollen, diskutieren und angehen und so ein kreativer und konstruktiver Impulsgeber innerhalb der SPÖ sein.

Die SJ hat dabei eine illustre Runde ProponentInnen versammelt, die von den Ex-FrauenministerInnen Helga Konrad und Erwin Buchinger über den Journalisten Robert Misik bis hin VertreterInnen nahezu sämtlicher SPÖ-Vorfeldorganisationen wie Kinderfreunde, aktion kritischer schülerInnen, FSG-Jugend und VSStÖ.

Momentum 010: Solidarität

Ebenfalls unter den Denkfabrik-ProponentInnen ist die politischen Leiterin der Kongressreihe Momentum, Barbara Blaha. Teilnahmebedingung für „Momentum 010: Solidarität“ von 21. bis 24. Oktober in Hallstatt/OÖ ist wie jedes Jahr das Verfassen eines kurzen Beitrages zu einem der ausgeschriebenen Themennetzwerke. Für den Kongress 2010 sind das die folgenden:

Netzwerk#1: Solidarische Wirtschaftspolitik

Netzwerk#2 Solidarität organisieren

Netzwerk#3 Solidarität und Gesellschaft

Bleibt nur noch zu hoffen, dass viele der in den Denkfabriken angestoßenen Diskussionen in Momentum-Beiträgen münden und es so zu einem diskursiven Miteinander dieser Initiativen kommt.

Continue Reading

Sozialdemokratie und Zeitgeist

Nikolaus Kowall

Die Zustimmung zu den Kriegskrediten von 1914 war der sozialdemokratische Beitrag zur Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Die Agenda 2010 war der deutsche sozialdemokratische Beitrag zur neoliberalen Wende und ihrer Krise. Das öffentliche Eingeständnis eines nationalistischen Irrweges wurde nach 1918 versäumt. Mit verheerenden Folgen. Das öffentliche Eingeständnis eines neoliberalen Irrweges – wie es SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles in ihrem kürzlich erschienen Buch ablegt – ist heute die einzige Chance auf einen radikalen Neubeginn. Im Interesse der Sozialdemokratie und der von ihr vertreten Menschen.

Die sozialdemokratische Bewegung rühmt sich ihrer demokratischen und pazifistischen Geschichte. Nicht ganz zu Unrecht, hat sie doch zwischen den Kriegen sowohl in Deutschland als auch in Österreich meist alleine die Fahne der demokratischen Republik hochgehalten. Zeitgleich haben sich sowohl das bürgerliche Lager, als auch die Kommunisten autoritären bis schließlich totalitären Denk- und Handlungsmustern zugewandt. Im österreichischen Bürgerkrieg von 1934 hat die SDAP sogar die bürgerliche Demokratie mit der Waffe in der Hand gegen die Bürgerlichen verteidigt. Die Sozialdemokratie hat im Gegensatz zu Nationalisten (NS-Regime), Konservativen (Austrofaschismus) und Kommunisten (DDR) niemals ein diktatorisches Regime errichtet. Weder im deutschsprachigen Raum noch sonst wo. Sie war nie so dogmatisch um für ihre Überzeugungen Regime zu errichten, Angriffskriege zu führen oder Imperien auszurufen.

Zwei große historische Irrtümer

Die theoretische Offenheit der Sozialdemokratie ermöglicht immer wieder Adaptionen an die empirische Realität. Dieser reformistisch-evolutionäre Ansatz schützt allerdings nicht nur vor Dogmatismus, sondern öffnet auch Raum für Irrtümer. Dabei kam es gelegentlich zu Handlungen wider sozialdemokratischen Kernauffassungen. Klar ist es leichter im Nachhinein die Grenzen zwischen legitimer Alltagsstrategie und Verletzung substanzieller Wertvorstellungen zu erkennen, als in der Hitze des politischen Alltagsgefechts. Faktum ist, dass die deutsche Sozialdemokratie aus heutiger Sicht zwei Mal in ihrer Geschichte unantastbare Werthaltungen dem politischen Zeitgeist geopfert hat: Continue Reading →

Continue Reading

Direkte Demokratur

Demokratie hat Grenzen. Sie verlaufen entlang der Menschenrechte.

Leonhard Dobusch

Die Schweizer Volksabstimmung ist vor allem ein Lehrstück über die Grenzen direkter Demokratie. Sie reiht sich ein in die traurige Serie von Abstimmungen über die sogenannte „Homo-Ehe“ in zahlreichen US-Bundesstaaten – allen voran die Abstimmung über „Proposition 8“ 2008 in Kalifornien, mit der die bereits erlaubte Eheschließung für gleichgeschlechtliche Paare wieder verboten wurde. Was ist das für eine Demokratie, in der die Mehrheit über die Rechte einer Minderheit befragt wird?

Demokratie ist die Entscheidungsfähigkeit der Mehrheit unter Berücksichtigung der Minderheit,“ hat Heide Schmidt einmal formuliert. Genau diese „Berücksichtigung der Minderheit“ ist es, die in aufgeklärt-demokratischen Systemen auch gegen noch so überwältigende, parlamentarische oder basisdemokratische Mehrheiten verteidigt und geschützt werden muss. Denn was Karl Popper in „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ für Freiheit postuliert hat, gilt auch für Demokratie: ihre Beschränkung ist Bedingung ihrer Existenz.

Demnach muss die Freiheit des Einzelnen begrenzt werden, um in mit Hilfe des Rechtsstaats die Freiheit des Einzelnen gegen das „Recht des Stärkeren“ zu verteidigen. Demokratie wiederum wird auch erst durch ihre Begrenzung mehr als eine bloße „Diktatur der Mehrheit“: Volksherrschaft ohne Gewaltenteilung und ohne demokratisch unantastbare Grund- und Menschenrechte ist Demokratur, oder wie die alten Griechen zu sagen pflegten: Ochlokratie. Continue Reading →

Continue Reading

Powered by WordPress. Designed by WooThemes