Diese Woche in den Links der Woche: Wie die junge Linke tickt, warum immer mehr sozialdemokratische WählerInnen ins rechtspopulistische Lager abwandern und die Doppelmoral bei der Analyse des Todes von Jo Cox und dem Massaker von Orlando. Außerdem: wie oft geteilte Links wirklich angeklickt werden, was 20-jährige AmerikanerInnen vom Kapitalismus halten und vieles mehr. Viel Spaß beim Lesen! P.S. Zum Brexit werden wir uns in den nächsten Tagen noch mit einem Special melden.
Inhalt
Sozialdemokratie, linke Bewegungen und Rechtspopulismus
Die Verteilungsfrage habe bei jungen Linken ausgedient, stattdessen gehe es um kulturelle und identitätspolitische Fragestellungen. Die junge Linke sei kosmopolitisch orientiert und habe keinen Bezug zu den sozialen Klassen im Sinne der traditionellen Linken, erklärt ein Parteiforscher in der Zeit.
Didier Eribons wunderbares Buch „Rückkehr nach Reims“ gibt es jetzt auch in deutscher Übersetzung. J. H. Van Hove rezensiert es im Freitag anhand der zentralen Frage warum immer mehr ArbeiterInnen von der Linken abwandern und zur Wählerschaft der Rechtspopulisten werden. Eribon mahnt sowohl die klassisch sozialdemokratische als auch die radikale Linke zur Selbstkritik: Die Sozialdemokratie hat es erlaubt dass die soziale Frage durch das Konzept der individuellen Verantwortung im politischen Diskurs abgelöst wurde und hat den Sozialabbau mitgetragen, während die radikale Linke die ArbeiterInnen auf „politische Chiffren“ reduzierte und es versäumte dass die ArbeiterInnen einen eher pragmatischeren Zugang zur Politik hatten. So schreibt Eribon: „Mein jugendlicher Marxismus war also ein Instrument meiner eigenen sozialen Desidentifikation. Ich glorifizierte die Arbeiterklasse, um mich leichter von den realen Arbeitern abgrenzen zu können.“
Der Bayern 2 Zündfunk Generator, eine der besten (inhaltlich interessantesten und am besten gemachten) Radiosendungen überhaupt widmet sich der Sozialdemokratie: „Die Zukunft der Sozialdemokratie. Vowärts in die Bedeutungslosigkeit? Warum steht die SPD so schlecht in den Umfragen da – trotz Mindestlohn, Mietpreisbremse und Frauenquote? Worin besteht die Krise der sozialdemokratischen Parteien Europas? Gibt es ein Zurück zur Situation vor Hartz IV? Der Zündfunk Generator stellt die Frage nach Gegenwart und Zukunft einer ehemaligen Volkspartei im Dilemma.“
Die Rechtspopulisten machen das was die Sozialdemokratie aufgegeben hat: sie kämpfen für das Primat der Politik. Rechtsparteien „re-moralisieren“ die Politik und haben den Anspruch die Welt, in der wir leben, nach ihrer Vorstellung zu verändern. Das war mal der Anspruch der klassischen Parteien bis sie vor „dem Markt“ kapituliert haben. So schreibt Stephan Schulmeister im Freitag dass die Frage „In welcher Gesellschaft wollen wir leben?“ für klassische Parteien sinnlos geworden und sieht die systemische Hauptursache in die jahrzehntelange Ausbreitung des Neoliberalismus in Wissenschaft, Medien und Politik. Nicht nur dass der Neoliberalismus zum Abbau des Sozialstaats und Deregulierung der Arbeitsmärkte geführt hat, es hat auch zu einer „marktreligiösen Unmündigkeit“ und „Selbst-Entmächtigung“ der Politik geführt, die jetzt rechtspopulistische Parteien nutzen. Der Neoliberalismus hat es geschafft dass die Politik konsequenterweise ihren Primat über „den Markt“ aufgab, und ist deswegen, so Schulmeister, das „erfolgreichste Projekt der Gegen-Aufklärung“.
Christian Kerns Reden sind jetzt schon Material für politische Lehrbücher. Diesmal zeigt er ungeheure Beherrschung und Professionalität in der Auseinandersetzung mit der FPÖ und gewinnt den Infight. Strache sah noch nie so alt aus, die Süddeutsche analysiert, warum.
Internationale Entwicklung
Das amerikanische Rote Kreuz hat nach eigenen Angaben bis zu einer halben Milliarde für Haiti gesammelt – und damit scheinbar erstaunlich wenig umgesetzt. Die Nachforschungen für diesen Artikel haben ergeben, dass sich die Organisation mit den Spenden selbst finanziell saniert haben dürfte; von den behaupteten errichteten Häusern steht hingegen bis heute fast keines. Möglich macht diese fragwürdigen Umstände auch der Umgang der Organisation mit Transparenz, der schwer zu wünschen übrig lässt.
Der Fotograf Johnny Miller hat versucht, mit Hilfe einer Drohne die Grenzen zwischen Arm und Reich, die Ungleichheit innerhalb Südafrikas, aufzunehmen. Entstanden ist eine bedrückende Fotoserie.
Gesellschaft und Medien
Das 21. Jahrhundert hat ziemlich viele fette Leute hervorgebracht. This American Life bringt diese Woche einen Einblick in deren Lebensrealitäten. Wie geht man damit um, wenn die Gesellschaft glaubt man sei faul und undiszipliniert, weil man übergewichtig ist? Was, wenn man dazu auch noch schwarze Hautfarbe hat?
Flüchtlinge in Lager sperren? An der Grenze Schießbefehl, weg mit den familienzerstörenden Frauenhäusern? Radikal-reaktionäre Positionen werden in der Öffentlichkeit momentan ventiliert, als wäre es das Normalste der Welt. Muss man dem etwas entgegen stellen? Die Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach findet: Nein. „Sich permanent an diesen abzuarbeiten, führe zu einer Art „rebellischen Abhängigkeit“, einer zwanghaften Rebellion, die sich ununterbrochen auf das bezieht, was sie ablehnt. Und das bedeute letztlich Selbstbeschränkung.“ Lieber solle man ein „eigensinniges Außen entfalten“, oder ein paar Witze über die Reaktion reißen, wie sie hier schreibt.
Laurie Penny schreibt im New Statesman über den Tod von Jo Cox und über Orlando und zeigt warum es hier eine Doppelmoral gibt: „Disturbed man commit acts of unspeakable violence, and that violence is dissected and dismissed on the basis of their skintone, faith and nationality. Attackers are divided into binary camps of “terrorist” and “lunatic”, as if hateful ideologies and individual derangement can never be related.“ Es ist einfacher ist für uns Gewalt als individueller Akt von Außen und ohne Vergangenheit zu verstehen anstatt die systemischen Hintergründe zu deuten warum der politische Diskurs der inzwischen so weit rechts ist zu solchen Taten führt: „Do not ask whether these killers are crazy. Ask instead how people are going crazy right now, and why, and where that sickness begins. What makes a man kill a stranger? If we ignore his manifesto, the slogans he shouts as he is tackled and taken down, what else could it be? Is it our broken, underfunded mental health services? Is it toxic masculinity? Social isolation? A culture that strips ordinary, vulnerable people of hope and dignity, offers them no justice, no jobs, no sense of agency? Can we think of any more questions to which the answer is yes?“
Heute 20-jährige US-AmerikanerInnen sind ausschließlich in Zeiten der Krise aufgewachsen: „Survival is the new American Dream.“ Kein Wunder: Das kapitalistische System, so wie sie es kennen gelernt haben, wird von einer wachsenden Zahl junger AmerikanerInnen abgelehnt, wie Foreign Policy berichtet.
Einer Studie zu Folge wurden 59% der in sozialen Medien geteilten Links niemals angeklickt oder gelesen. Was zählt, ist die Schlagzeile: „People form an opinion based on a summary, or a summary of summaries, without making the effort to go deeper.“ Hier nachzulesen.
Innenpolitik
Beim Nikowitz vom Profil kann man diese Woche nicht anders als schallend zu lachen: „Der beliebteste Politiker Österreichs im nie geführten Star-Talk: Die Erfolgs- und Sympathiegeheimnisse des Reinhold Lopatka.“
Und wenn man glaubt es geht nicht mehr schlimmer, dann kommt Ursula Stenzel und gibt ein Interview in der Presse.
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