Clemens Kaupa
Mich hat die Regierungsbildung im Jahr 2000 politisiert. Ich habe in der Früh im Radio von der Angelobung gehört. Ich rief meinen Schulfreund Ümit an, der auch politisch interessiert war, und wir gingen zum Ballhausplatz. Ich hatte einen Schuhkarton auf eine Besenstange meiner Mutter befestigt („die krieg ich aber zurück“) und „Niemals Haider“ daraufgeschrieben. Am Ballhausplatz waren ein paar Dutzend Leute, eine Pelzmantellady beschimpfte uns, dann wollte ein Stapo-Polizist Ümit und mich wegen der Besenstange als „unangemeldete Demonstration“ anzeigen.
Blau-Schwarz hat, glaube ich, viele tausend Menschen in meinem Alter politisiert. Vor einiger Zeit erzählte mir eine Fortgeh-Freundin, dass sie eine jener DonnerstagsdemonstrantInnen war, die Christoph Schlingensiefs Ausländer-raus-Container „befreit“ hatten. Ein großer Teil meiner Generation war irgendwann mal auf den Antiregierungs- und den Donnerstagsdemos. Bis zumindest 2006 – vermutlich aber bis 2008 – war Blau-Schwarz die dominante politische Bezugsgröße für Menschen links der Mitte. Mittlerweile sind die Regierungsangelobung und die großen Demonstrationen neun Jahre her, und mit dem Abtritt von Wolfgang Schüssel als Clubchef und der Gusenbauer-Regierung 2008 hat sich das Thema gegen-Blau-Schwarz-sein wohl erledigt.
Was war?
Auch wenn sich die Demonstrationen primär gegen die zwei Regierungsparteien richtete, waren sie doch alles andere als Parteipolitik: mit den Donnerstagsdemonstrationen entstand eine soziale Bewegung, die sich an den Unis mit den Studiengebühren- und den Anti-UG02-Protesten fortsetzte. In der Bewegung, die so entstand, waren eine Zeitlang Kategorien doppelt aufgelöst. Einerseits verwischten Partei- und Gruppierungsgrenzen. Andererseits verwischte die Grenze zwischen Menschen, die Teil einer Gruppierung waren, und jenen, die es nicht waren. Gegen Blau-Schwarz sein war eine eigene Art der Zugehörigkeit, und PassivistInnen waren auch AktivistInnen.
Gegen Blau-Schwarz sein war zuallererst eine Empörung darüber, dass eine rassistische, naziverharmlosende, menschenhassende Partei zur Staatspartei gemacht wurde. Gegen Blau-Schwarz sein war aber mehr: es richtete sich gegen Rechtspolitik insgesamt, und gegen den neoliberalen Umbau. Gegen Blau-Schwarz sein war ein Moment, in dem sich Zivilgesellschaft verselbstständigt hat.
Ich habe in dieser Bewegung – im Anti-UG02-Protest, später bei meinem Engagement im VSStÖ (welches ich als Teil dieser Bewegung verstanden habe) – gelernt, dass politisch sein nichts anderes sein kann als sich aktiv einzubringen. Als späte Konsequenz dieses Engagements habe ich auch den Rückbau der Studiengebühren 2008 erlebt. Parteipolitisches Engagement war dabei nie so wichtig, die Partei war viel mehr ein Handlungsforum, mehr Mittel als Zweck. Ich denke, dass viele Leute eine in mancher Art ähnliche Form der Politisierung erlebt haben.
Was bleibt?
Eine soziale Bewegung „Gegen Blau-Schwarz“ gibt es nicht mehr. Übrig bleibt vielleicht eine Art gemeinsamer Erinnerung der Beteiligten, dieser „Generation Donnerstagsdemo“. Eine Identität, die Menschen aus SPÖ, Grünen, anderen Gruppen, NGOs oder deren SympatisantInnen verbindet, gibt es in dieser starken Form nicht mehr, eine Art Band – „Links sein“, oder gegen Neoliberalismus sein, gegen Strache-sein – gibt es sehr wohl.
Definitiv weg ist die Idee, dass jeder Aktivist und jede Aktivistin eine politisch handelnde und damit politisch verändernde Person ist. Wir sind zurück bei der gefühlten Trennung zwischen Gruppen- oder ParteifunktionärInnen und dem Rest.
Mit Daniela – jener Freundin, die mal den Schlingensief-Container besetzt hatte – habe ich letzte Woche lange diskutiert. Ich habe ihr versucht zu erklären, wie (in dem Fall partei-) politisches Engagement von jungen AktivistInnen in der SPÖ zur Abschaffung der Studiengebühren geführt hat. Mir fällt jetzt auf, wie schwierig es war zu erklären, wie kleine individuelle und kollektive Handlungen – an denen sie als Donnerstagsdemonstrantin letztendlich auch beteiligt war – zu wichtigen politischen Veränderungen führen konnten. Ich habe den Eindruck, dass sie meine Vorstellung nach einiger Zeit nachvollziehen konnte, und ihr dieses Bild auch gefiel.
Natürlich hat sich das, was Blau-Schwarz war, in gewisser Weise von selber erledigt: durch die unglaubliche Korruption und Küngelpolitik der AkteurInnen, durch ihre rasende Blasiertheit, durch ihre Inkompetenz, und jetzt durch die Wirtschaftskrise. Aber die Veränderung – das war zum Teil Danielas Vorstellung und, glaube ich, auch die vieler Menschen – ist nicht einfach so passiert. Es ist aber auch eine verdammt unglaubliche Idee, dass kleine Handlungen von Individuen und Gruppen zu (manchmal großen) Veränderungen führen können.
Für mich ist das der Kern von Politik, für mich ist das der Kern von Reformismus, so wie ich den Begriff verstehe. Politische Veränderungen entstehen im Gehen, indem handelnde Menschen eine Dynamik erzeugen, die alte Dinge umwirft und neue erschafft. Das Kernproblem ist, dass dies für viele Menschen so unglaub-bar ist. Man glaubt es als Aktivist ja selbst kaum, hätte man nicht Beispiele, die es einem bestätigen. Eben Beispiele wie die Studiengebühren. Oder dass Faymann nicht mit der FPÖ koaliert hat, oder die Dienstleistungsrichtlinie.
Das sind die Erfolgsstories. Als ein Manko von linker Politik verstehe ich, dass wir unsere Erfolge selbst nicht immer ausreichend wertschätzen wollen. Dabei sind sie das beste Beispiel dafür, dass politische Veränderung, so wie wir sie uns vorstellen, funktionieren kann. Ich denke, dass wir die linken Erfolgsgeschichten – unsere eigenen, aber auch die historischen – als solche begreifen sollten. Und aus ihnen lernen, wie Veränderungen aus kleinen Schritten entsteht, und fast immer über Mobilisierung von nicht-Funkti-Menschen. Gerade diesen Menschen (genauso wie den AktivistInnen) können es die linken Erfolgsgeschichten verständlich machen, wie ihre eigenen Handlungen zu den politischen Veränderungen führen können, die sie anstreben. Und Erfolgsstories gibt es viele: wie Johanna Dohnal und die Frauenbewegung das Recht auf Abtreibung erkämpft hat; wie Fischer, Lacina und die antifaschistische Bewegung mit dem Naziunwesen an den Unis und sonstwo aufgeräumt hat. Wie Dutschke und die Studierendenbewegung für eine offene, demokratische und pazifistische Gesellschaft gekämpft hat. Nichts davon war der singulär große revolutionäre Akt, alles davon waren tausend kleine Schritte von tausenden über die Zeit mobilisierten Menschen.
Im besten Fall kann man dabei an jene Erfolgsgeschichten anknüpfen, an denen die Menschen selbst beteiligt waren, wie das etwa bei der „Generation Donnerstagsdemo“ der Fall ist: wo aus eigener Erfahrung wissen, dass politische Veränderung Schritt-für-Schritt aus der Mobilisierung von handelnden Individuen entsteht.
Ich würde gerne einen Aspekt herausnehmen, der mir ganz wichtig erscheint: die Fähigkeit der „Linken“, eigene Erfolge zu würdigen und so ein Teil einer allgemeinen „Geschichtsschreibung“ zu werden.
Schlagt doch mal ein x-beliebiges Zeitungsprodukt von linken Jugendorganisationen auf, und schaut welche in der Grundtendenz eher ein „oh nein, es wird immer schlimmer, alles ganz furchtbar“ oder ein „Schritt für Schritt kommen wir zu Verbesserungen, das wird schon…“ haben. Ersteres wird klar obsiegen, bei einigen Gruppen und Zeitungen kommt letzteres gar nicht vor.
Hier stellen sich die Leute ihr eigenes Bein. Ich fände es dringend notwendig, zu positiveren (und m. E. damit auch objektiveren) Erzählungen zu kommen. Frage an die Runde: Warum passiert das nicht?