Wer A sagt, muss auch B sagen: ein (kritischer) Blick auf Gesundheit und Pflege im „Plan A“

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Von Andrea E. Schmidt*

Das „Programm für Wohlstand, Sicherheit und gute Laune“, das am 11. Jänner von SPÖ-Bundesparteivorsitzenden und Bundeskanzler Christian Kern in Wels präsentiert wurde und besser als Plan A bekannt ist, erscheint – insbesondere angesichts der Angelobungsrede von Regierungschefs andernorts – als eine wohltuende Portion an positiven Visionen, die der Partei in den letzten Jahren ohne Frage mitunter abhanden gekommen sind, und die Vorstellung konkreter Maßnahmen. Im Bereich der Pflege jedoch lässt sich erkennen, dass noch Nachdenkbedarf herrscht, insbesondere wo der Ruf nach qualifizierten Pflegekräften einerseits, und nach der ‚Abschiebung‘ von älteren Arbeitslosen als Beschäftigte im Pflegesektor andererseits laut wird. Ein Beitrag in einer Serie von Analysen zum Plan A.

Inhalt

Kompetente Abarbeitung von Gesundheitsthemen

Die Themenbereiche, die sich auf das Gesundheitswesen beziehen, werden im Plan A durchaus fachlich kompetent, wenn auch ohne größere Überraschungen abgearbeitet. Wartezeiten-Monitoring, Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung, Stärkung der Primärversorgung sind Themen, die in Gesprächen zwischen Bund und Ländern kein Neuland darstellen. Zugleich sind es durchaus wichtige Punkte für die Verbesserung von gesundheitlicher Chancengerechtigkeit und eine stärkere Ausrichtung an Solidarität anstatt rein an Effizienz-Kriterien im Gesundheitswesen. Auch die Angleichung der Kassenleistungen wäre grundsätzlich zu befürworten, sofern sichergestellt ist, dass dies nicht insgesamt zu einer Kürzung des Leistungsniveaus aller Versicherten führt. Das Thema Abschaffung von Selbstbehalten ist ebenso mit Sicherheit wichtig und richtig, erste Schritte in diese Richtung wurden im Übrigen bereits mit 1.1.2017 umgesetzt. Zu kritisieren ist dabei allerdings, dass der Frage der Zwei-Klassen-Medizin dadurch aus meiner Sicht mit Sicherheit noch nicht ausreichend Rechnung getragen wird.

Positiv: Abschaffung Eigenregress gegen faire Erbschafts- und Schenkungssteuer

Im Bereich der Pflege ist der Vorschlag Kerns begrüßenswert, professionelle Pflege- und Betreuungsdienste auszubauen um Angehörige – und insbesondere Frauen – zu entlasten, ohne die ein funktionierendes Betreuungssystem in Österreich unvorstellbar wäre. Ebenso ist die Abschaffung des Eigenregress – das heißt, dass das eigene Vermögen oder gar die eigene Wohnung bei Pflegebedürftigkeit dem Staat übertragen wird: eine Maßnahme, die insbesondere den Mittelstand freuen wird. Wichtig ist dabei, dass im Gegenzug die Einführung einer fairen Erbschafts- und Schenkungssteuer durchgesetzt werden kann, die laut den Plänen von Christian Kern erst ab einem Vermögen von einer Million Euro erfolgen soll, was mit der Forderung der Arbeiterkammer weitgehend übereinstimmt.

Durch eine Zweckwidmung dieser Steuereinnahmen könnte meiner Meinung nach zumindest eine solidarische Basis für die staatliche Finanzierung der Pflege älterer Menschen ermöglicht werden, wenngleich im Zugang zu und der Nutzung von Pflege- und  Betreuungsdiensten weiterhin beträchtliche Ungleichheiten bestehen bleiben. In eine ähnliche Richtung geht die jährliche Inflationsanpassung des Pflegegelds, was vor allem älteren Frauen zugute kommt, aber die breitere Abdeckung mit Pflegediensten (also etwa Heimhilfe oder Hauskrankenpflege) für alle, beispielsweise auch in ländlichen Gebieten, keinesfalls sicherstellt.

Jobmotor Pflege? Der Teufel steckt im Detail

Zwei Punkte stehen der realistischen Umsetzung von „mehr professioneller Pflege“ (Seite 21) aus meiner Sicht ganz besonders  entgegen. Erstens besteht ein Widerspruch zwischen der Aussage im Plan A von Christian Kern, dass professionelle und qualifizierte Pflegearbeit attraktiv gemacht, also aufgewertet werden soll, und der Tatsache, dass es insbesondere ältere Arbeitslose sein sollen, die in der Altenbetreuung tätig sein sollen. Auch wenn die Qualifizierungsmaßnahmen des Arbeitsmarktservice (AMS) begrüßenswert sind – bei vielen der Arbeitslosen dürfte es sich um Quereinsteiger_innen in die Pflege und Betreuung handeln, was den Eindruck vermittelt, dass ohnehin jede (und jeder) dazu in der Lage sei, als Heimhilfe tätig zu sein. Dies steht im Gegensatz zu der angeblichen Attraktivierung von Betreuungs- und Pflegeberufen und dürfte in vielen Fällen auch in der Realität weitaus schwieriger umzusetzen sein als es im Plan A klingt. Es ist sicher richtig, dass in der Pflege auch in Zukunft mehr Personal benötigt wird. Letztendlich wird es aber darauf ankommen, zusammen mit dem Pflegesektor selbst Antworten zu entwickeln und adäquate Ausbildungsprogramme für sämtliche Altersgruppen zu forcieren.

Der zweite Kritikpunkt an der Rhetorik des Plan A hinsichtlich der Maßnahmen zur Weiterentwicklung des Pflegesektors betrifft eine Regelung, die aus der Hand der SPÖ aus dem Jahr 2008 stammt. Während in der 24-Stunden-Betreuung den ausländischen Betreuungskräften (größtenteils) als Scheinselbständige jegliche arbeitsrechtliche Absicherung verwehrt wird, spricht Kern weiter von „kollektivvertraglich entlohnten“ Arbeitsplätzen (Seite 22). Auch hier wäre es wünschenswert, genauer hinzusehen, anstatt die „Agentur für 24-Stunden-Betreuung“ als negativ konnotiertes Beispiel anzuführen (Seite 91), als ob man nicht selbst das Sozialressort der Regierung anführen würde.

Visionen ja, aber Demokratiedefizit unverzeihlich

Abschließend möchte ich nochmals betonen, dass ich den Plan A im Großen und Ganzen als mutigen Schritt sehe, sich selbst als Regierungspartnerin (wieder) Maßstäbe zu setzen und Visionen zu entwickeln, auch wenn nicht alle Punkte im Detail ausgereift sind. In diesem Sinne ist der Plan A als Grundlage für weitere inner- und außerparteiliche Diskussionen äußerst positiv zu bewerten: es erfordert Courage und harte Arbeit, ein solches Programm zu entwickeln. Dennoch möchte ich mich der Meinung von Julia Herr anschließen, dass der Plan A ein „demokratiepolitisches Foul“ darstellt, da er – parallel zum aktuellen SPÖ-Parteiprogramm – ohne Einbindung der SPÖ-Basis erarbeitet wurde und trotz dieses Parteidemokratie-Defizits eine wichtige Ausgangsbasis für die SPÖ-Politik (oder den Wahlkampf?) der nächsten Monate darstellt.

*Andrea E. Schmidt lebt und arbeitet als Sozioökonomin in Wien und engagiert sich in der Sektion 8 der SPÖ Alsergund. Die hier geäußerten Darstellungen spiegeln allein die persönliche Meinung der Autorin wider.

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