Linke Köpfe #7: Hannah Arendt

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Linke Köpfe #7: Hannah Arendt

von Silviu Six*

Bildquelle:http://hac.bard.edu/about/hannaharendt/

Bildquelle:http://hac.bard.edu/about/hannaharendt/

War Hannah Arendt links? Das ist die falsche Frage. Wesentlicher ist, was für einen Einfluss Arendts Werke und Ideen auf die (undogmatische) Linke gehabt haben und wie sie die zeitgenössische Linke beeinflussen.

Hannah Arendt wurde am 14. Oktober 1906 in Linden (heute Hannover) in eine säkulare jüdische Familie geboren und starb am 4. Dezember 1975 in New York, wo sie, nachdem sie aus Deutschland fliehen musste und zuerst als “Illegale” und “feindliche Ausländerin” in Paris lebte, ihre neue Heimat gefunden hatte. Sie studierte unter Heidegger und Jaspers, bei dem sie 1928 mit der Arbeit “Der Liebesbegriff bei Augustin” promovierte, und arbeitete nach der Emigration erst als Lektorin und freie Schriftstellerin und später als Professorin für politische Theorie in Chicago und an der New Yorker New School for Social Research.1

Hannah Arendt befasste sich mit zwei der wichtigsten Themen des 20. Jahrhunderts, dem Antisemitismus und dem Totalitarismus. Zu ihren Hauptwerken gehört das 1951 erschienene „The Origins of Totalitarianism“ (1955 erschien die von Arendt selbst übersetzte und überarbeitete, deutsche Version „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“). In diesem Werk, an dem sie über ein Jahrzehnt lang gearbeitet hat, macht Arendt eine umfassende Analyse der Mechanismen, die zu der Entstehung totalitärer Machtherrschaften (Nationalsozialismus und Stalinismus) geführt haben. Zu ihren anderen wichtigen Werken gehören „Eichmann in Jerusalem – Eine Banalität des Bösen“, in dem sie anlässlich des Eichmann-Prozesses2 zeigt, wie die Vernichtung von Menschen in eine rein bürokratische Routinehandlung verwandelt und somit affektfrei werden kann, und „Über die Revolution“, in dem sie eine vergleichende Analyse der amerikanischen und französischen Revolutionen macht.

In ihrem Werk hat sich Hannah Arendt mit der grundsätzlichen Problematik der Entstehung von politischen Handeln auseinandergesetzt und steht deshalb mit ihrer Theorie auf einer anderen (Meta-)Ebene, die, geprägt vom Konzept der “politischen Pluralität”, außerhalb des traditionellen linken und rechten Spektrums liegt. Es wäre deswegen auch falsch zu versuchen, ihre “Politische Theorie” in der traditionellen Achse der politisch-philosophischen Ideologien einzuordnen.

Arendts Leben3 und ihre Werke, die stark von der Entrechtung einzelner Gruppen von Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus geprägt sind, sind vor allem in der heutigen Zeit im Umfeld des linken Denkens besonders aktuell. Im letzten Jahr wurde im Kontext der Flüchtlingskrise eine radikale Änderung des politischen Handelns und der (fehlenden) Reaktion darauf in der Bevölkerung sichtbar. Hannah Arendts Werk ist wichtig, weil es mit dem Konzept bricht, dass das Böse rein ideologisch in der politischen Realität verwirklicht wird. Es führt uns vor Augen, dass ein unter anderen Umständen unwichtiges Fehlen von Solidarität und Mitgefühl von einer Minderheit dann relevant wird, wenn es zum Leitgedanken der stillen und apathischen Mehrheit wird. Einige der schlimmsten Gräultaten in der Geschichte wurden durch diese apathische Bürokratie verwirklicht. Und damit sind nicht zwingend Beamte, PolitikerInnen, Polizei oder Sicherheitskräfte, gemeint, sondern Menschen, die von einer Rhetorik der Angst in Konformität gedrängt werden, die ihr Eigeninteresse vor das Wohl Anderer stellen, die durch ihre Untätigkeit oder ihr Misstrauen das Böse in unserer Gesellschaft zur Normalität erheben. Schlussendlich vergessen wir, wie das Böse aussieht, weil wir uns daran gewöhnen und abstumpfen.

1943 veröffentlichte Arendt den Essay „We Refugees“4 (dt. Wir Flüchtlinge), in dem sie die aussichtslose Situation von Flüchtlingen und Staatenlosen, die entrechtet wurden, darstellt. Sie schreibt, dass “die Zeitgeschichte eine neue Gattung von Menschen geschaffen hat – Menschen, die von ihren Feinden ins Konzentrationslager und von ihren Freunden ins Internierungslager gesteckt werden.5 Der Unterschied zu damals ist, dass man heute bei den Unschuldigen nicht mehr von Rechtsentzug spricht, sondern vom Rechtsvorenthalt, indem man ihnen den Zugang zu unserem Rechtssystem verweigert oder erschwert.6

In ihrer Darstellung über Flüchtlinge schafft es Arendt uns zu verdeutlichen, was es heißt, ein Flüchtling zu sein, in der Hoffnung, dass die Solidarität der normalen Mehrheit die Banalität des Bösen besiegen kann:
Wir haben unser Zuhause und damit die Vertrautheit des Alltags verloren„, schreibt sie in ihrem Essay, „Wir haben unseren Beruf verloren und damit das Vertrauen eingebüßt, in dieser Welt irgendwie von Nutzen zu sein. Wir haben unsere Sprache verloren und mit ihr die Natürlichkeit unserer Gebärden und den ungezwungenen Ausdruck unsere Gefühle.

*Silviu Six engagiert sich in der Sektion 8 der SPÖ Alsergrund und ist u.a. in der Arbeitsgruppe Ideologie und Geschichte aktiv.


1 http://www.piper.de/autoren/hannah-arendt-11
2 Der SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann wurde 1960 in Argentinien von israelischen Agenten gefasst und nach Israel gebracht, wo er nach einem Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt wurde. Hannah Arendt wurde von der Zeitschrift „New Yorker“ entsandt, um über den Prozess zu berichten.
3 Nachdem Arendt für acht Tage in Gestapo-Haft kam, wurde ihr 1937 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt und sie war bis 1951, als sie die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt, staatenlos.
4 http://www.documenta14.de/de/south/35_we_refugees
5 Hannah Arendt: Wir Flüchtlinge, in: Hannah Arendt: Zur Zeit. Politische Essays, hg. von Marie Luise Knott, München 1989.
6 Julia Schulze Wessel – Hannah Arendt: All exclusive – Theorie des staatenlosen Flüchtlings, http://www.hinterland-magazin.de/pdf/20-54.pdf

Linke Köpfe:
#1 Simone de Beauvoir
#2 Kofi Annan
#3 Joan Robinson
#4 Bertolt Brecht
#5 Louise Michel
#6 Julius Deutsch

One Response to Linke Köpfe #7: Hannah Arendt

  1. Dr.Klein Christine 7. Juli 2016 at 09:37 #

    Diese Einschätzung trifft es für mich genau auf den Punkt:

    „Es führt uns vor Augen, dass ein unter anderen Umständen unwichtiges Fehlen von Solidarität und Mitgefühl von einer Minderheit dann relevant wird, wenn es zum Leitgedanken der stillen und apathischen Mehrheit wird. Einige der schlimmsten Gräultaten in der Geschichte wurden durch diese apathische Bürokratie verwirklicht.“

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