Aus dem Tagebuch einer Sektion Acht Aktivistin

Wien, am 25. Juni 2015 um 21.26

Liebes Tagebuch! Seit dem im Juni 2015 beschlossenem Koalitionsabkommen im Burgenland und der widerwärtigen Machtstrategie seitens der ÖVP Steiermark nach der Landtagswahl plagen mich unruhige Nächte. Ich wollte mir daher eine Freude bereiten und ging nach der Arbeit zum Juwelier Neuner, auf der verkehrsberuhigten Mariahilfer Strasse. Dort bewundere ich seit fast einem Jahr sonderbare Ohrringe in der Auslage, erfreue mich an deren Schönheit, stelle mir vor wie gut sie mir stehen würden und gehe bescheiden aber glücklich weiter. Diesmal kam es anders als erwartet. Mein verehrtes Paar war nicht mehr ausgestellt. Ich zündete mir eine Zigarette an und beschloss die fertiggestellten Abschnitte der „Mahü“ mit einem Spaziergang zu huldigen. Schon nahm mein Gehirn den kaum abstellbaren Denkprozess zur aktuellen Situation in der SPÖ wieder auf.

Hiroshima Mandee*

Selten waren sich in Österreich so viele Menschen zu einem höchst brisanten Thema einig. „Die SPÖ steht vor dem Abgrund.“ In der Tat ist die österreichische Sozialdemokratie mit einem großen Wendepunkt konfrontiert. Selbst wenn es sich so anfühlt als ob das Koalitionsabkommen im Burgenland diese Krise herbeigeführt hat, so entspricht dies nicht den Tatsachen.

Die SPÖ kränkelt seit Jahrzehnten vor sich hin. Scheint beratungsresistent zu sein wenn es um innerparteiliche Demokratisierungsprozesse geht, Zeitgeist gefragt ist und inhaltliche sowie personelle Qualitätssteigerung notwendig wäre. Landeshauptmann Hans Niessl hat, man muss ihm fast dankbar sein, bewiesen was seit langem schon „common sense“ in unseren Führungsebenen ist: Machterhalt um jeden Preis und sehr wahrscheinlich auch aus inhaltlicher Nähe zur FPÖ. Um Landeshauptmann zu bleiben hat er dafür sogar der gesamten Partei, das heißt, jedem Mitglied, jeder Vorfeldorganisation, jeder Wählerin und jedem Wähler de facto gesagt: „Deine Meinung, deine Beschlüsse, dein Statut und/oder dein Vertrauen stellt für mich keine Verbindlichkeit dar und zudem ignoriere ich sie einfach weil sie keinen Wert für mich darstellen.“

Soweit, so schlecht. Hat er doch vergessen, dass er als Parteimitglied Rechte und Pflichten hat und mit dieser Vorgehensweise eindeutig gegen diese verstößt. Leider verfüge ich über keine Rechstschutzversicherung um mich zivilrechtlich beraten zu lassen, weil mir Klarheit in diesem Fall sehr wichtig wäre. Andererseits, warum sich mit einer Einzelperson aufhalten wenn es um die Zukunft unserer Partei geht und in weiterer Folge um die des gesamten Landes? Ich kann es zwar nicht mehr hören wenn genau jene „Dinosaurier“ die es selbst betrifft kundtun es sei jetzt „nicht die Zeit für Personaldebatten“, aber politisch betrachtet gebe ich ihnen Recht. Einerseits weil sich der eine oder andere Akteur (noch keine Frauen darunter) zwar unbeabsichtigt aber gezielt selbst aus dem Weg räumt, andererseits weil es darum geht nun einem Machtvakuum entgegenzuwirken. AkteurInnen innerparteilicher Strömungen fühlen sich sonst eingeladen Personenwahlkämpfe zu führen. Von der einen Personalmiserie in die nächste? „Beats the purpose!“.

Es geht nun wahrlich nicht darum die rechte oder linke politische Strömung innerhalb der Partei zu stärken sondern gemeinsam an der Qualität der Partei zu arbeiten, kränkelnde Elemente in der Struktur zu eliminieren (z.B.: offene Abstimmungen in sämtlichen Gremien) und stärkende Elemente zu erarbeiten bzw sie einzufordern (z.B: funktionierendes Schiedsgericht).

Was die Sektion Acht der SPÖ Alsergrund seit nun acht Jahren kritisiert, sich dadurch intern sogar wahnsinnig unbeliebt macht, kommt jetzt ans Tageslicht. Kritik von außen wird laut ob unserer vermeintlich ruhigen Position. Dabei gibt unser Motto – Danke Abraham Lincoln bereits die Antwort: „Be sure you put your feet on the right place , then stand firm.“ Es geht um Haltung. Fakt ist zudem, dass wir schon sehr lange auf diese Situation vorbereitet waren. Nebst unserer Arbeit für sozialdemokratische Werte und für die SPÖ per se einzutreten, treffen wir einander mindestens einmal bis zu sieben Mal pro Woche um ehrenamtlich an Verbesserungen inhaltlicher sowie struktureller Natur zu arbeiten. Wir verstehen uns in dieser aktuellen Situation – nach wie vor – als Teil dieser Partei, sowie es auch alle anderen Mitglieder, Sektionen und Vorfeldorganisationen Teil von ihr sind. Wir sind stets bereit uns konstruktiv und ebenso proaktiv einzubringen.

Zeit zum internen Fraktionieren und Personaldebatten führen, sehen und haben wir nicht. Denn es gilt in erster Linie unserem Namen gerecht zu werden, eine klare Linie zu erarbeiten und durchaus Leistung und Authentizität zu fordern und zu fördern. Wir sind dazu verpflichtet unseren Teil zu einer bunten Parteienlandschaft beizutragen, damit die WählerInnen eine echte persönliche Wahl treffen können. Derzeit erfüllen wir diese Aufgabe schlicht nicht. Wer Rot wählen möchte sieht Blau. Viele die im Alltag schwarz sehen, entscheiden sich aus Unwissen ebenso für Blau.

Die Verantwortung für deren Unwissen müssen wir durchaus als unser Versagen anerkennen. Denn man redet der Bevölkerung nicht eins zu eins nach, man hört ihnen wissbegierig und aufmerksam zu, denkt nach, berät sich mit FachexpertInnen und präsentiert Lösungsvorschläge zu denen man steht, solange bis man sie adaptieren muss, im Sinne einer Verbesserung.

Demokratie ist niemals ein Status, sie lebt und nährt sich von Momenten. Je intensiver sie sind und je näher diese Momente aneinandergereiht sind, desto gesünder, strukturierter und produktiver wird sie (er)lebt. Es ist die Verfassung, es sind die Statuten und dergleichen die Halt geben – wenn man sie lässt.

Der kurze Spaziergang neigt sich seinem Ende zu als ich wiederholt an der Auslage des Juweliers vorbeiflaniere. Ich betrete plötzlich wie fremdgesteuert das Geschäft und erkundige mich nach den besagten Ohrringen. An meinen Ohren gefallen sie mir noch besser als in der Auslage und so denke ich mir: „Meine Gesinnungsgemeinschaft beschert mir zwar schlaflose Nächte aber gleichzeitig steht mir dank ihrer Errungenschaften ein 13. Gehalt zu.“ Geschmückt und gestärkt ziehe ich, einfache Angestellte, weiter. Zuversichtlich, denn am Samstag findet unsere Strategieklausur statt.

Hiro

*Hiroshima Mandee besuchte die Hauptschule Kinzerplatz in Floridsdorf und absolvierte im zweiten Bildungsweg das Studium der Politikwissenschaft, ist Teil der Sektion Acht, seit knapp zwanzig Jahren überzeugte Sozialdemokratin und seit fünfzehn Jahren SPÖ Mitglied.

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