„Dieses Gesetz ist nicht als Gnade von oben zu werten, sondern als ein Recht.“

Zitate aus der Parlamentsdebatte zum Arbeiterkammergesetz 1920

Martin Risak*AK-Gesetz-1920

Die soeben stattfindenden AK-Wahlen haben in der medialen Wahrnehmung nicht unbedingt die Bedeutung, die ihnen eigentlich zukommen müsste. Die Wichtigkeit dieser Institution nicht nur zur Servicierung, sondern vor allem zur politischen Vertretung der Interessen aller Arbeitenden, lässt sich sehr  gut an Hand der Parlamentsdebatte zum „Gesetz über die Errichtung von Kammern für Arbeiter und Angestellte“ in der 64. Sitzung der Konstitutierenden Nationalversammlung der Republik Österreich am 26.2.1920 verfolgen.

In dieser Debatte kommt ein Grundkonsens aller wesentlichen parlamentarischen Kräfte, der Grundgedanke eines Gegengewichtes zu den schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts institutionalisierten Interessenvertretungen des Kapitals, ebenso zum Ausdruck, wie Bedenken hinsichtlich des Minderheitenschutzes innerhalb der AK. Lassen wir also die damaligen Abgeordneten zu Wort kommen. Die Originaldokumente können online unter http://alex.onb.ac.at/ eingesehen werden, die Hervorhebungen stammen von mir.

Der sozialdemokratische Berichterstatter Franz Domes, der danach der erste Präsident der AK Wien und Niederösterreich sein wird, begründet den Gesetzesantrag folgendermaßen:

Mit diesem Gesetz wird eine Forderung der Arbeitnehmerschaft erfüllt, die von ihr vor mehr als 70 Jahren erhoben worden ist […] Haben die Arbeiter in der Vergangenheit Arbeiterkammern verlangt, um durch sie ein Instrument zur Vertretung ihrer Interessen zu erlangen, so sind später die Arbeiterkammern von den bürgerlichen Kreisen zur Erörterung gestellt worden, um den Bestrebungen der Arbeiter entgegenzuwirken, um zu verhindern, daß die Arbeiterschaft das allgemeine gleiche Wahlrecht erhält, um durch die Arbeiterkammern dem Kampf die Spitze abzubrechen, der der Eroberung des allgemeinen gleichen und direkten Wahlrechts gegolten hat. Nach dem Zusammenbruch hat die Arbeiterklasse in Österreich politisch an Einfluss stark gewonnen und es ist heute auch im Hause kein Zweifel mehr darüber, dass der Emanzipationskampf, den die Arbeiterschaft hinter sich hat, sie auch befähigt, auf die Neugestaltung unserer Volkswirtschaft in gleicher Weise bestimmenden Einfluß zu nehmen, wie es die übrigen Schichten der staatlichen Organisation tun. … der Arbeiterklasse auf das neue Werden der Volkswirtschaft [also] ein weitgehendes Mitbestimmungsrecht zukommen muß. Von diesem Gedankengang ausgehend, sieht die Regierungsvorlage nun eine bestimmte, wenn auch mäßige Einflußnahme auf die Gestaltung der kommenden Verhältnisse durch die Errichtung dieser Arbeiterkammern vor. …. Es wird durch die Arbeiterkammern den Arbeitern das gleiche Recht eingeräumt, wie es den Unternehmern und den Vertretern der kapitalistischen Interessen durch die Handels- und Gewerbekammern schon seit dem Jahre 1868 gewährleistet ist. […] Die Arbeiterkammern sollen ihrem Wesen nach zunächst ein Gegengewicht gegen die einseitige Beeinflußung unserer volkswirtschaftlichen Verhältnisse durch die Kammern für Handel, Gewerbe und Industrie sein. […] Die alten Handelskammern haben auf die frühere Gesetzgebung stärksten Einfluß genommen, während die Arbeiterschaft über ein Instrument, das sie befähigt hätte, im gleichen Maße Einfluß auf die Gesetzgebung zu üben, nicht verfügte. (Seite 1804 f)

Der deutschnationale Abgeordneter Karl Kittinger drückt – bei grundsätzlicher Zustimmung zur AK als solche – auch die Befürchtungen einer Minderheitenfraktion aus:

Und wenn das, meine verehrten Herren, wirklich zum Ziele derjenigen Männer wird, welche die Berufung als Kammerräte in diesen Kammern der Arbeiter und Angestellten erhalten, wenn sie sich es zur Aufgabe machen, vereinigend und verbindend dadurch zu wirken, dass auch die notwendigen Lebensinteressen jener Arbeiter- und Angestelltengruppen respektiert werden, welche parteipolitisch nicht der Mehrheit der Kammerräte angehören, sondern einer vielleicht auch nur einer kleinen Minderheit, wenn man immer sieht, daß das Prinzip des gerechten Ausgleichs unter allen Umständen und insbesondere bei den Lebensnotwendigkeiten und wirtschaftlichen Vorbedingungen vorherrscht, dann glaube ich, wird das Gesetz zu dem werden als was wir es begrüßen wollen: als ein Instrument zum Ausgleiche der sozialen Gegensätze, ja nicht nur das, sondern daß es eine Reform ist, welche geeignet ist, zu Hebung der unteren Schichten beizutragen, zu jener Mittellinie , bei welcher der soziale Ausgleich im ganzen Volke angestrebt und gefunden werden muß. (Seite 1807 f)

Der christlich-soziale Gewerkschafter Franz Spalowsky führt aus:

[E]s ist das Bestreben, der Arbeiterschaft ein Mitbestimmungsrecht einzuräumen, das man der Arbeiterschaft um so weniger verweigern und verwehren kann, als die Erkenntnis allgemein geworden ist, dass die Arbeiterschaft nicht nur der an Zahl größte Volksteil in unserer Volksgemeinschaft ist, sondern auch in unserem Staat endlich einmal so gewertet werden muß, wie sie für unser ganzes Wirtschaftsleben auch wirklich in Erscheinung tritt. Wenn dieser Grundsatz als ein echt demokratischer Grundsatz hier zum Ausdruck kommt, so ist das etwas, was wir mit aufrichtiger Freude begrüßen […] Die Angestellten befürchten, dass sie in der Arbeiterkammer majorisiert werden, und ich muss zugeben: Bei den Erfahrungen, die wir auf dem Gebiet der Arbeiterbewegung in Österreich gemacht haben, ist diese Befürchtung keine unbegründete, denn wir sehen, dass diese Organisationen der Arbeiterschaft in ihrer Mehrheit sich auf ihre Stärke außerordentlich viel zugute tun. […] es ist vielfach beklagt worden, das die große Masse der organisierten Arbeiter gerne geneigt gewesen sind, über die Minderheiten kalten Blutes zur Tagesordnung überzugehen. […] diese Erfahrung treibt die Angestellten dazu, dass sie eine eigene Angestelltenkammer fordern. Wir haben uns deswegen im Auschusse bemüht, dem Gesetze in der Richtung eine Fassung zu geben, dass die Angestellten diesbezüglich beruhigt sein können und ich freue mich, daß uns dies auch gelungen ist.“ (Seite 1809 f) „Aber wir müssen die eine Forderung erheben, dass die Durchführung und Handhabung dieses Gesetzes, insbesondere die Bildung und Zusammensetzung der Kammer durch eine geordnete und gerechte Wahlordnung ermöglicht wird, daß alle Arbeiter in der Arbeiterkammer nicht nur ihre wirkliche Interessenvertretung sehen, sondern, dass die Arbeiterkammern auch getragen sind von der ganzen Arbeiterschaft und keine Macht im Staate sich über diese Arbeiterkammer, die von der Macht der ganzen Arbeiterschaft getragen wird,  hinwegsetzen können wird. (Seite 1811)

Der sozialdemokratische Abgeordnete Anton Franz Hölzl betont:

[…] daß wir dieses Gesetz […], nicht als ein Geschenk ansehen, das der Arbeiterschaft und den Angestellten gegeben wird, sondern als ein erkämpftes und rechtmäßiges Gut. Dieses Gesetz ist nicht als Gnade von oben zu werten, sondern als ein Recht. […] Es ist ein Stück Sozialpolitik. Es ist der Wiederaufbau unserer Wirtschaft, unseres gesamten Wirtschaftslebens, undenkbar, ohne die Arbeiterschaft und die Angestellten bei diesem Wiederaufbau heranzuziehen. […] Seit dem Jahre 1848 kämpft die Arbeiterschaft … für die Arbeiterkammern. […] Durch die Schaffung dieses Gesetzes betreten wir ja Neuland. Die Arbeiter und Angestellten knüpfen an dieses Gesetz keine übertriebenen Hoffnungen, wenn auch nicht verkannt wird, daß dieses Gesetz für die Arbeiter und Angestellten von großem Werte ist. […] Die neu zu schaffenden Arbeiterkammern werden dadurch zum Teil der wirtschaftlichen Verwaltung. […] Ich möchte dieses Gesetz als notwendige Ergänzung des Gesetzes über die Betriebsräte bezeichnen. […] daß erst durch dieses Gesetz der Arbeiterschaft […] ein Instrument in die Hand gegeben wird, um die ihr gebührende Stellung im wirtschaftlichen Leben einzunehmen und zu behaupten. (Seite 1812 f).

Und zuletzt der sozialdemokratische Abgeordnete und Angestelltengewerkschafter Karl Pick:

Wir wurden hier von einer Seite ermahnt, in den Arbeiterkammern nicht zu politisieren. Wir werden diese Mahnung sehr beherzigen […] nachdem in der Arbeiterkammer nicht über Weltanschauungen, sondern über konkreten, für die Arbeiter und Angestellten in der heutigen Welt, jetzt und für alle Zeiten aktuelle wirtschaftlichen Dinge diskutiert wird, dürfte eine Vergewaltigung der Minorität kaum möglich sein, weil die Minorität immer wieder sagen wird, wir wollen „ohnedies“ dasselbe, was ihr wollt. […] wollen auch wir Angestellte erklären: Wir werden dafür sorgen, dass die Arbeiterkammern zu einem Zentrum sachlicher und sachkundiger Beratung werden, damit die Nationalversammlung, wenn sie von ihnen Gutachten verlangt, solche Gutachten bekommt, wie sie den Interessen der arbeitenden Menschen, und was bei uns dasselbe ist, den wirklichen Interessen des Handels, der Industrie und des Gewerbes entsprechen. (Bravo!) (Seite 1816)

Und damit, wie es 1920 in der Parlamentsdebatte formuliert wurde, „die Arbeiterkammern auch getragen sind von der ganzen Arbeiterschaft und [dass] keine Macht im Staate sich über diese Arbeiterkammer, die von der Macht der ganzen Arbeiterschaft getragen wird, hinwegsetzen können wird“, ist eine hohe Wahlbeteiligung notwendig. Deshalb die nachdrückliche Bitte an der AK-Wahl 2014 teilzunehmen. Danke!

Martin Risak ist ao. Universitätsprofessor für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Wien und in der Sektion 8 der SPÖ Alsergrund aktiv.

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3 Responses to „Dieses Gesetz ist nicht als Gnade von oben zu werten, sondern als ein Recht.“

  1. rot 25. März 2014 at 01:04 #

    Die grässliche FSG, mitverantwortlich für die schlechte Behandlung von sozial Benachteiligungen und Arbeitslosen, gewinnt die AK-Wien-Wahl, nicht, weil sie beliebt ist, sondern weil die Wahlbeteiligung niedrig ist. Vermutlich ist mittlerweile die große Mehrheit der AK-Mitgliedergegen die FSG.

    Linke wie mich in der SPÖ hat das noch weiter von der SPÖ entfernt. Die Gründung einer neuen Partei ist damit noch wahrscheinlicher geworden.

  2. rot 23. März 2014 at 21:43 #

    Hoffentlich verliert die FSG die Absolute in der Bundes-AK! Für die Mehrheit der AK-Mitglieder wäre das ein Segen! SPÖ und FSG sind nur mehr an der Macht, um ihre roten Freunderl zu versorgen.

  3. rot 16. März 2014 at 23:53 #

    Die Mehrheit der AK-Mitglieder wählt nicht mehr SPÖ.

    Die SPÖ hat in der AK nur mehr die Absolute, weil fast nur Rote an der AK-Wahl teilnehmen.

    Die FSG hat also kein Interesse daran, die Wahlbeteiligung zu steigern.

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