„Sehe im geförderten Bereich keine nachzuholende Bauleistung“

ludwig_kleinWien hat in den 2000er-Jahren den größten Bevölkerungszuwachs seit der Monarchie erlebt, die Stadt ist seit dem Jahr 2000 um über 190.000 EinwohnerInnen, also quasi exakt im Ausmaß von Linz gewachsen. Just im Jahr 2001 wurde die Zweckbindung der Wohnbaumittel gelockert – über die Rückflüsse aus bereits begebenen Wohnbauförderungsdarlehen konnte nunmehr frei verfügt werden und der verbliebene Bundeszweckzuschuss konnte auch in Infrastruktur- und Klimamaßnahmen gesteckt werden. Die Wohnbauförderungsausgaben in Wien sind darauf hin stark zurückgegangen, vor allem die Ausgaben für Neubau und Sanierung sind von 2000 auf 2001 von 587 auf 486 Mio. eingebrochen. Das bedeutet einen Rückgang am Wiener Budget von 5,8 auf 4,8 Prozent, wobei sich dieser Anteil bis heute nicht ganz erholt hat, er lag 2012 bei 5,4 Prozent. Seit 2005 steigen die Mieten im privaten Wohnbereich mehr als doppelt so stark wie die verfügbaren Einkommen und die allgemeine Teuerung. Viele BeobachterInnen führen das darauf zurück, dass das Wohnungsangebot mit dem Wachsen der Nachfrage nicht mithalten konnte. Hat die Stadt Wien punkto Neubauaktivität einen Megatrend verschlafen? Der Wiener Wohnbaustadtrat Michael Ludwig gibt Antwort auf diese Fragen. 

 

Lieber Michi, zum Einstieg eine Einschätzungsfrage. Teilst du die Auffassung der Arbeiterkammer Wien, das der Mietpreisanstieg im privaten Bereich eine Folge dessen ist, dass das Angebot an Wohnraum in Wien mit der Nachfrage nicht mithalten kann?

Ludwig: Dazu muss man zuerst festhalten, dass der häufig zitierte hohe Mietpreisanstieg ein kleines Segment des Wiener Wohnungsmarkts betrifft. Nur jener Bereich, der freifinanziert errichtet wurde und der nicht dem Richtwertsystem unterliegt, verzeichnet bei Neuvermietungen faktisch deutliche Steigerungsraten. Tatsache ist, dass 60 Prozent der Wiener Bevölkerung in geförderten bzw. Gemeindewohnungen leben.  Die Mieten bei Wiener Wohnen sind unter der Inflationsrate gestiegen und die Mieten im geförderten Bereich genau der Inflation gefolgt. Wien verfügt über den großen Vorzug eines sehr breiten, mietrechtlich streng regulierten kommunalen und geförderten Wohnungssegments. Die preisdämpfende Wirkung dieses Segments lässt sich auch daran ablesen, dass Wien im Vergleich mit anderen europäischen Metropolen nach wie vor günstigere Mieten im privaten Bereich aufweist. Im freifinanzierten Bereich können zudem seit kurzem wieder Mietpreisrückgänge verzeichnet werden. Was aber nichts daran ändert, dass wir ein reformbedürftiges Mietrechtsgesetz haben, das die Preissteigerungen am privaten Markt begünstigt hat. Hier ist der Bund dringend zu einer Reform aufgerufen.

Es wird immer von einer notwenigen Reform des Mietsrechts auf Bundesebene gesprochen, kannst du konkret sagen, welche Punkte das beinhalten sollte?

Ludwig: Das von mir geforderte Transparenzpaket umfasst eine Deckelung der ausufernden Zuschläge mit 25 Prozent, die weitgehende Eindämmung von befristeten Mietverträgen, die Forderung nach gleichen Mietpreisen für neue Hauptmieterinnen und -mieter geförderter  Eigentumswohnungen sowie nach gleichen Rechten für Hauptmieterinnen und -mieter von Wohnungseigentümern.

Das Mietrecht ist als Bundesgesetz keine Wiener Angelegenheit, aber für ausreichenden Wohnbau ist schon die Stadt selbst verantwortlich…

Ludwig: Wien hat frühzeitig vorgesorgt. Dies einerseits durch die Steigerung der Wohnbauleistung in den Jahren 2007 bis 2010 und andererseits durch zusätzliche Finanzierungsmaßnahmen durch die Wohnbauanleihe und die Wiener Wohnbauinitiative 2011. Nicht zuletzt wird auch durch das 2012 ins Leben gerufene SMART-Wohnbauprogramm kostengünstiger, bedarfsgerechter Wohnraum für die Wienerinnen und Wiener auch für die kommenden Jahre gesichert.

Aber reicht das aus, um dem prognostizierten Zuwachs der Bevölkerung gerecht zu werden?

Ludwig: Richtig ist, dass angesichts des Bevölkerungswachstums auch in Zukunft eine hohe geförderte Neubauleistung sehr wichtig ist. Wien trägt dem – wie auch in den vergangenen Jahren – Rechnung. So stehen für 2014 gesteigerte Budgetmittel im Bereich des Wohnens im Ausmaß von rund 690 Millionen Euro zur Verfügung. Durch den geförderten Wohnbau, die Wohnbauinitiative und in Ergänzung das Konjunkturpaket des Bundes wird 2014 voraussichtlich der Bau von rund 7.500 Wohnungen gestartet. Weiter ansteigen wird auch die Zahl der Förderungen. Im kommenden Jahr werden mehr als 6.000 Wohnungen einer Förderung zugeführt. Dazu kommen noch weitere Projekte im Rahmen der Wohnbauinitiative. Darüber hinaus werden jährlich rund 11.000 Gemeindewohnungen neu vergeben.

In Wien werden 5.000 bis 6.000 geförderte Wohnungen pro Jahr neu gebaut. Die Arbeiterkammer ist der Auffassung, es bräuchte in den nächsten zehn Jahren 8.000 neue geförderte Wohnungen pro Jahr, um dem künftigen Bevölkerungszuwachs gerecht zu werden. Um die aktuellen Knappheiten zu beseitigen, bedürfte es sogar einer noch höheren, quasi nachholenden Bauaktivität. Teilst du diese Einschätzung?

Ludwig: Grundsätzlich bin ich mit der Arbeiterkammer einer Meinung, dass die geförderte Neubauleistung auf einem hohen Niveau fortgesetzt werden muss. Ich sehe aber im geförderten Bereich keine nachzuholende Bauleistung. In Wien werden pro Jahr wesentlich mehr Wohnungen neu und zu günstigen – daher kostendeckenden Mieten – errichtet als in jeder anderen Großstadt Europas. Wien hat zusätzlich in den Jahren der Wirtschaftskrise mit der Wohnbauinitiative 2011 ein zusätzliches Potential von 6.250 Wohnungen auf die Beine gestellt. Gerade in der jüngsten Vergangenheit wurden große Bauträgerwettbewerbe ausgelobt und juriert, sodass die Zahl der Förderungen laufend steigt. Wir werden auch die die Mittel aus dem angekündigten Konjunkturpaket des Bundes ausschöpfen. Wien tut also alles, was in seinen Möglichkeiten steht, um die notwendige Neubauleistung abzudecken. Last but not least: Im Rahmen des freifinanzierten Wohnbaus – hier wurden schon bisher in etwa 1.000 bis 1.500 Wohnungen jährlich neu errichtet – wird  nicht ausschließlich das Luxussegment bedient. Auch in diesem Bereich gibt es engagierte Bauträger, die Wohnungen zu annehmbaren Konditionen auf den Markt bringen. Zumal jene Zielgruppe, die sich hohe Mieten und Wohnungspreise leisten kann, begrenzt ist.

Ist die Verknappung im Wohnbau nicht auch hausgemacht? Im Jahr 2011 waren die Rückflüsse aus den Wohnbaudarlehen in Wien mit knapp 500 Mio. fast identisch mit den Ausgaben für Wohnbau & Wohnbeihilfe, die bei rund 526 Mio. lagen. Das heißt zwar, dass Wien die Rückflüsse für Wohnbau verwendet, dass aber der gesamte ehemalige Zweckzuschuss des Bundes in Wien für andere Zwecke verwendet wird?

Ludwig: Die Rückflüsse waren niemals Teil der Zweckbindung. Vielmehr dienen die Rückflüsse auch dazu, die notwendige Infrastruktur für den Wohnbau zu finanzieren. Vor einer Umverteilung müsste geklärt werden, die diesbezüglich notwendigen Maßnahmen finanziert werden.

Wie wäre es mit einer Finanzierung des geförderten Wohnbaus in Wien anhand des „Salzburger“ Modells? In Salzburg wird jährlich der alte Anteil des Landes am Bundeszweckzuschuss in den Landeswohnbaufonds einbezahlt. Die Rückflüsse aus den Darlehen bleiben ebenfalls im Fonds, Salzburg hat diese von sich aus wieder zweckgewidmet. Damit ist grundsätzlich – sofern nichts verspekuliert wird – jedes Jahr mehr Geld für den Wohnbau da. Mit den kombinierten Mitteln aus altem Bundeszweckzuschuss und Rückflüssen ließe sich auch in Wien ein erhebliches gefördertes Bauvolumen organisieren, wie siehst du das?

Ludwig: Der Wohnbaufonds in Salzburg ist an sich eine gute Einrichtung. Allerdings muss man sich dessen bewusst sein, dass dieser Fonds mit Bankdarlehen arbeitet, die selbstverständlich rückzuführen sind. Darüber hinaus ist aktuell die Einführung eines analogen Modells aufgrund der Einschränkungen durch den Stabilitätspakt nicht mehr möglich.

Bauvorhaben wie die Seestadt Aspern sind zweifellos groß dimensionierte und gleichzeitig innovative Projekte der Stadtentwicklung. Bis zum Vollausbau 2030 sollen dort 20.000 Menschen wohnen. Das klingt viel, entspricht aber nur dem Bevölkerungszuwachs von anderthalb Jahren.

Ludwig: Wenn Aspern auch das größte Stadtentwicklungsgebiet in Wien ist, so ist es nicht das einzige. Vor allem ehemalige Bahnhofsareale, wie der Nordbahnhof, das Sonnwendviertel beim neuen Hauptbahnhof oder künftig auch der Nordwestbahnhof tragen maßgeblich zur Sicherung der Wohnversorgung in Wien bei.

Kann man abschätzen, was eine komplette Infrastruktur mit Öffis, Schulen und Kindergärten im Vergleich zum Wohnbau kostet? Kostet das pro Kopf z.B. nochmal so viel wie der Wohnraum?

Ludwig: Diese Frage kann insofern nicht generell beantwortet werden, als es immer auf das jeweilige Gebiet ankommt, vor allem darauf, wie viel Infrastruktur in welchem Umkreis vorhanden ist beziehungsweise mit welchen Erschwernissen bautechnischer Natur zu rechnen ist.

Kann die Stadtentwicklung nur bis zu einem gewissen Bevölkerungszuwachs mithalten? Ist zum Beispiel das Tempo des Bevölkerungswachstums zu hoch, stößt man an technische Grenzen der Expansion? Oder anders: Würde Geld keine Rolle spielen, könnte man dann nicht einfach drei U-Bahnen und 30 Bildungseinrichtungen gleichzeitig bauen?  

Ludwig: Die Finanzierbarkeit ist natürlich ein wesentlicher Faktor. Zudem würde man bald an weitere Kapazitätsgrenzen stoßen. Beispielsweise gibt es nicht genügend Unternehmen, um 30 Bildungseinrichtungen und drei U-Bahnen parallel umzusetzen. Wir fokussieren uns auf jene Gebiete, die tatsächlich mit den zur Verfügung stehenden Kapazitäten umgesetzt werden können.

Wenn es nicht nur ums Geld geht, welche nichtfinanziellen Hürden sind es dann, die einem verstärkten Wohnbau im Weg stehen?

Ludwig: Mittlerweile gibt es in Wien kaum mehr ein Bauprojekt, gegen das sich nicht massiver Widerstand von Bürgerinitiativen formiert. Das kann den Bau neuer Wohnungen natürlich erheblich verzögern. Mir ist es sehr wichtig, die Anrainerinnen und Anrainer in die Planungen miteinzubeziehen, da diese im Sinne einer konstruktiven Zusammenarbeit wichtige Ideen und Argumente einbringen. Problematisch wird es in meinen Augen nur dann, wenn das Prinzip der Solidarität verletzt wird und Verhinderungsargumente vorgeschoben werden, weil man etwa keine neuen Nachbarinnen und Nachbarn bekommen will.

Muss man da nicht sagen: „Freunde, euer Egoismus in Ehren, aber ihr lebt in einer Stadt und da gibt es viele Interessen auf engem Raum. Euer Blick auf den Bisamberg ist aus Sicht der Politik – die auf das Ganze schauen muss – weniger wichtig als das Bedürfnis einer jungen Familie nach Wohnraum?“

Ludwig: Wir versuchen, möglichst viele Interessen zu vereinen und die Anliegen der Anrainerinnen und Anrainer zu berücksichtigen. Aber was hier von einigen verlangt wird, wäre die Quadratur des Kreises – nämlich neuen Wohnraum zu schaffen, aber nirgendwo dafür bauen zu können. Für die Politik bedeutet das mitunter Entscheidungen zu treffen, für die man in der Öffentlichkeit nur wenig Lob erntet.

Kann man abschätzen, wie viel Bevölkerungszuwachs durch Verdichtung und Nutzung von Bauland noch verkraftbar ist und ab welcher Dimension Grünflächen angeknabbert werden müssten?

Ludwig: Die Stadt Wien bekennt sich klar zur Erhaltung ihrer großen Grünflächen. Wenn die Bevölkerung im  Raum Wiens, wie prognostiziert, in den kommenden Jahrzehnten um 400.000 bis 600.000 Personen zunehmen wird, so wird dies daher nur teil­weise innerhalb der jetzigen Siedlungsgrenzen möglich sein. Die gedeihliche weitere Entwicklung Wiens kann nur gemeinsam mit der Region gedacht und gestaltet werden. Wir können dabei auf bestehenden Kooperationen – erfolgreichen, bereits gewachsenen Strukturen wie die ,Stadtregion+‘, die Wien, Niederösterreich und das Burgenland umfasst, aufbauen. Eine Region, die nicht nur die größte Wirtschaftsleistung in Österreich erbringt, sondern deren Baulandreserven, Bau- und Verkehrs- und soziale Infrastrukturen weitgehend ausreichend dimensioniert sind, um das Wachstum aufzunehmen. Im Rahmen der ,Stadtregion+‘ gibt es zudem bereits ein Abkommen aller Landeshauptleute, in Planungsfragen verstärkt zusammenzuarbeiten.

Michi, ganz vielen Dank für deine ausführlichen und informativen Antworten!

2 Responses to „Sehe im geförderten Bereich keine nachzuholende Bauleistung“

  1. Rudolf Thun 24. Dezember 2013 at 08:03 #

    Es ist allerhoechste Zeit, das Bevoelkerungswachstum zu stoppen. Bald gibt-s kein Gruen mehr und damit keine Luft zum Atmen, keine Medikamente …

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