Es wird zu wenig sein

Die Performance der SPÖ-Parteiführung in Bezug auf interne Mitbestimmung war in den letzten Wochen ein Desaster. Das Regierungsprogramm ist hingegen definitiv kein Desaster. Es wird trotzdem zu wenig sein um den Niedergang der SPÖ aufzuhalten.

Nikolaus Kowall

 

„Wir feiern ein Fest innerparteilicher Demokratie“, sagte Sigmar Gabriel über den Verlauf des Mitgliedervotums in Deutschland. Gabriel hat riskiert und alles gewonnen: 78 Prozent Beteiligung und 76 Prozent Zustimmung zu dem ausverhandelten Koalitionsvertrag. Wichtige sozialdemokratische Forderungen finden sich im Regierungsprogramm, die Ressortverteilung ist ebenfalls gut für die SPD ausgegangen. Das gesamte negative Momentum nach den Wahlen ist perdu, die SPD steht als Siegerin und Innovatorin da, die CDU sieht als aus. Neue Wege wurden beschritten und es hat sich bezahlt gemacht.

In Österreich ist das Gegenteil passiert. Nichts wurde riskiert und deshalb sieht man jetzt alt aus. Der Vorschlag, ein Mitgliedervotum zu machen, wurde panisch abgelehnt und die Versuche an der Basis selbst ein solches Votum zu erwirken wurden mit gesamten Macht des hauptamtlichen Apparats bekämpft. Das kleine Zugeständnis, das die Initiative für eine Urabstimmung erzwingen konnte, war, dass die Regierungsmitglieder nach Verhandlungsende zumindest durch die Landesparteien getourt sind, wodurch der Beschluss im Bundesparteivorstand einen Tag später fiel. Ich persönlich bin überzeugt davon, dass 2013 das letzte Mal war, dass sich die Parteiführung ein völliges Ignorieren der Basis leisten konnte. Wir leben in einer Zeit, wo formale Autoritäten an Bedeutung verlieren und immer mehr Menschen sich als autonome Subjekte verstehen, die zur eigenen Urteilsbildung fähig sind. Die SPÖ konnte sich dieser zivilgesellschaftlichen Tendenzen lange erwehren, mittlerweile gibt es aber zu viele Nester in der Partei, die eigenständiges Denken hochalten. Was wir und andere machen ist quasi eine Zivilgesellschaft innerhalb der SPÖ aufzubauen.

Weil die SPÖ-Performance der letzten Wochen so ärgerlich war, habe ich persönlich auch ein desaströses Regierungsprogramm erwartet. Ich muss ehrlich sagen, dass ich überrascht bin, dass das Papier so schlecht nicht geworden ist (siehe auch offizielle Bewertung der Sektion 8: 6,75 von 16 Punkten). Vielleicht liegt das nur an meinen bereits so tief gelegten Erwartungen – andere in der Sektion 8 sind in ihrer Kritik auch wesentlich schärfer als ich. Sie meinen, dass zumindest eine der im Wahlkampf besonders betonten Maßnahmen wie der Mindestlohn oder die Vermögensbesteuerung im Programm stehen müssten, um überhaupt ein positives Wort über das Programm verlieren zu können. Die von der SPÖ prominent vertretenen Maßnahmen wurden nicht beschlossen weil – wie einige KommentarorInnen treffend formuliert haben – ÖVP und SPÖ sich wechselseitig ihre jeweiligen Leuchtturmprojekte abgeschossen haben und es so nur jeweils kleinere Maßnahmen ins Programm gefunden haben. Wahrscheinlich wäre aber ein Leuchtturm notwendig gewesen, um die Glaubwürdigkeit der SPÖ bei ihren WählerInnen aufrecht zu erhalten. Wahrscheinlich wird diese Regierungsbeteiligung den Niedergang der SPÖ nicht aufhalten, mit der FPÖ auf Platz 1 ist bei den kommenden Bundeswahlen durchaus zu rechnen.

Um meine Sicht trotzdem klar zu sagen: Wenn dieses Regierungsprogramm 1:1 umgesetzt wird, steht Österreich nachher besser da als vorher. Nicht um Welten besser, aber spürbar besser. Nach meinem Wissensstand ist die einzige neoliberale Maßnahme, die geplante Privatisierung von ÖIAG-Unternehmen bis zur Sperrminorität. Selbst bei dieser Maßnahme glaube ich – vielleicht aus Naivität –, dass die SPÖ-Führung sie nur hineingeschrieben hat weil sie weiß, dass die Gewerkschaft jede Privatisierung ohnedies verhindern wird. (Der Vizekanzler muss verstehen, der Kanzler hatte ja den guten Willen aber gegen die FSG ist in der SPÖ nun einmal nichts zu machen…)

Das heißt, es gibt eine gute Nachricht: Diese Regierung ist nicht neoliberal. Das bedeutet im Umkehrschluss eine zweite gute Nachricht: Eine Vielzahl von Maßnahmen dieser Regierung sind aus sozialdemokratischer (und wohl auch aus klassisch christlich-sozialer) Sicht ein Fortschritt. Die schlechte Nachricht: Diese Maßnahmen sind von ihrer Bedeutung her eher in der unteren Mitte oder im unteren Bereich angesiedelt. Einzig die guten Vorhaben zur Regulierung der Finanzmärkte spielen in der obersten Liga sozialdemokratischer Wünsche. Dabei handelt es sich aber Großteils um europäische Themen (Finanztransaktionssteuer, Regulierung des Schattenbankensektors etc.), weshalb die Bundesregierung wegen Nicht-Zuständigkeit leicht das Gute und Schöne fordern kann. Psychologisch hätte wohl eine einzige Maßnahme aus dem oberen Mittelfeld genügt, um den überwiegenden Teil der SPÖ an Bord zu haben. Ich denke etwa an die Erbschaftssteuer, die weit nicht so ertragreich ist wie eine Vermögenssteuer, aber 100% leistungs- und verteilungsgerecht. Käme diese Steuer zum Programm noch hinzu, wäre ich schon eingekauft und mir würde kein schlechtes Wort über eine Regierungsbeteiligung über die Lippen kommen. Aber auch Kleinvieh macht Mist und es lohnt sich einen Blick auf die vielen unspektakulären aber guten Maßnahmen zu werfen.

  • Wohnbauoffensive (276 Mio.)
  • Zweckbindung der Wohnbauförderung
  • Ausbau der Ganztagsschulen (400 Mio.)
  • Ausbau der Kinderbetreuung (350 Mio.)
  • Glaubwürdige und umfassende Offensive gegen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung
  • Einsatz gegen Scheinwerkverträge
  • Bekenntnis zu europäischer Maßnahmen zur Finanzmarktregulierung
  • Flächendeckender Ausbau mobiler Pflegedienste (310 Mio.)
  • Es soll ein zweites kostenfreies Kindergartenjahr für 4 bis 5 Jährige eingeführt werden.
  • Die Kosten für Kieferregulierungen, festsitzenden Zahnersatz und Mundhygiene für Kinder und Jugendliche werden künftig von den Krankenkassen übernommen.
  • Die Familienbeihilfe wird mit 1. Juli 2014 je nach Alter der Kinder auf 180, 200 und 220 Euro erhöht.
  • Stärkere Personalisierung im Wahlrecht: Die abstrus hohen Hürden für Vorzugsstimmen (Bund: 7, Land: 10%, Regionalwahlkreis:14%) werden herabgesetzt, wenngleich sie mit 5/5/9 immer noch zu hoch bleiben.

Auf der Einnahmenseite gibt es neben den wenig problematischen Laster-Steuern (Tabak, Sekt, Alkohol) eine ökologische Maßnahme die begrüßenswert ist: Für die motorbezogene Versicherungssteuer sowie die KFZ-Steuer wird ein Stufensystem eingeführt, sodass auf Fahrzeuge mit höherer Motorisierung auch ein höherer Beitrag entfällt (Einnahmen 200 Mio.). Die Einschränkung der Absatzbarkeit von Managergehältern (60 Mio.), die Einschränkungen bei „Golden Handshakes“ (30 Mio.), die Rücknahme der GmbH Reform (85 Mio.), die Einschränkung der Gruppenbesteuerung (50 Mio.), die Reduktion des Gewinnfreibetrags auf Finanzinvestitionen (50 Mio.) und der Einsatz gegen Gewinnverlagerung ins Ausland (100 Mio.) sind einnahmeseitige Maßnahmen, die die richtigen treffen und insgesamt 375 Mio. pro Jahr bringen. Das ist weniger als z.B. die Einnahmenzuwächse, die man im Rahmen des Sparpakets 2012 auf den Weg brachte, aber es ist auch keine Bagatelle.

Die Empörung über das abgeschaffte Wissenschaftsministerium und das Zusammenlegen von Außenministerium und Integrationsstaatssekretariat sowie von Bildungs- und Frauenministerium ist völlig nachvollziehbar. Die Medien und andere MeiungsmacherInnen müssen sich allerdings fragen, ob sie mit ihrem Mantra von der  Politik, die bei sich selbst sparen muss, nicht erheblich zu diesem Unsinn beigetragen haben. Natürlich fallen zwei oder drei Ministerkabinette budgetär überhaupt nicht ins Gewicht. Die Politik zeigt damit jedenfalls, dass sie den Diskurs über ihre eigene Wertlosigkeit schon selbst internalisiert hat.

Mein Conclusio: Für Österreich ist es kurzfristig gut, dass die SPÖ in diese Regierung geht. Für die Partei bedeutet es wahrscheinlich das Ende ihrer dominanten Stellung in diesem Land, was aus meiner Sicht für die Republik langfristig der größere Schaden sein wird, als sich jetzt einmal fünf Jahre von der Regierung fernzuhalten. Diese Regierungsbeteiligung wird zu wenig sein, um den Niedergang der SPÖ aufhalten zu können.

One Response to Es wird zu wenig sein

  1. punto 16. Dezember 2013 at 20:15 #

    1. Die Integration ist im Außenministerium genau so gut aufgehoben, wie im Innenministerium.
    2. Was die Frauen bei der Bildung verloren haben, oder die Bildung bei den Frauen zu suchen hat, weiß ich nicht.
    3. Das Wissenschaftsministerium wurde nicht abgeschafft, sondern in ein anderes Ministerium eingegliedert, wo es seine Arbeit fortsetzt. Den Unterschied möchte ich, frei nach Kreisky, Klavier spielen können.
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    Trotz dieser Meinungsverschiedenheiten stimme ich mit der Aussage des Untertitels überein:
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    – Die Performance der SPÖ-Parteiführung in Bezug auf interne Mitbestimmung war in den letzten Wochen ein Desaster.
    Dies zeigt den geringen Stellenwert der Basis in der SPÖ.
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    – Das Regierungsprogramm ist hingegen definitiv kein Desaster.
    Kein Desaster, aber zu wenig. Als Programm für 5 Jahre, in denen wir Milliardenbeträge aufbringen müssen, ist diese Suppe ohne eine ergiebige Reichensteuer einfach zu dünn.
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    – Es wird trotzdem zu wenig sein um den (weiteren) Niedergang der SPÖ aufzuhalten.
    Das fürchte ich auch.

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