Verantwortung übernehmen heißt sozialdemokratisch handeln

Die von der Sektion 8 mitinitiierte Aktion „Wir sind die 57. Stimme“ zur Solidarisierung mit der SPÖ-Abgeordneten Sonja Ablinger hat vor ein paar Tagen die Tausendermarke überschritten. Ein Grund dafür ist, dass es beim Fiskalpakt aus sozialdemokratischer Sicht ans Eingemachte geht.

Nikolaus Kowall

Verborgen für die meisten Menschen außerhalb eines erweiterten interessierten Kreises tobt seit drei Jahren eine wirtschaftspolitische Grundsatzdiskussion auf beiden Seiten des Atlantiks. Im Zentrum steht die Frage welche Relevanz Staatsschulden bzw. volkswirtschaftliche Außenhandelsschulden haben und ob nur die Schuldner/innen schuld sind, oder auch die Gläubiger/innen. Aus drei Gründen ist die neoliberale Interpretation der Krise, dergemäß Staatsschulden das Hauptproblem sind und die Schuldner/innen ihre Situation alleine zu verantworten haben, im deutschsprachigen Raum immer noch die deutlich breitenwirksamere. Erstens ist sie simpel: Wer mehr ausgibt als einnimmt, kommt eben in die Bredouille. Zweitens passt sie gut in die neoliberale Denke, die wir seit Jahren gewohnt sind: Der Staat ist das Übel und die Staatsschulden das Symptom desselben. Drittens ist es bequem: Wir wirtschaften gut, die da unten schlecht. Im Gegensatz zu den USA, Frankreich oder Spanien erreicht die alternative Lesart in der deutschsprachigen Öffentlichkeit keine kritische Größe. Dabei handelt es sich um eine Auseinandersetzung, die sich nicht eindeutig entlang ideologischer Lager festmachen lässt. Die deutsche Bundesbank, die meisten deutschen Ökonom/innen, die Wirtschaftsressorts der konservativen Blätter FAZ und Die Welt sowie das christdemokratische und sozialdemokratische Establishment in Deutschland und Österreich teilen prinzipiell die Auffassung, dass der Schuldner Schuld hat, weil sich die verantwortungslose Ausgabenpolitik der „Partyjahre“ rächt. Der Fiskalpakt ist die logische Antwort auf diese Erkenntnis.

Das gewerkschaftsnahe deutsche Institut für Markoökonomie und Konjunkturforschung (IMK), die österreichischen Arbeiterkammern, die Financial Times Deutschland, das Handelsblatt, die Frankfurter Rundschau, die britische BBC sowie die Rating Agentur Standard & Poors haben einen keynesianischen Blick auf die Welt und kommen zu einem anderen Schluss, der in etwa lautet: Die Schuldenkrise ist mehr ein Problem der privaten denn der öffentlichen Verschuldung. Die Staatsschulden können in vielen Staaten durch Ersparnisse der inländischen Privaten noch gedeckt werden, wie das in Deutschland oder Österreich auch der Fall ist. Es ergibt sich in diesen Staaten damit eine Herausforderung für den Staat, aber kein Problem für die Volkswirtschaft, die unter dem Strich schuldenfrei ist. Sind die Privaten aber selbst stärker verschuldet als sie Ersparnisse haben, dann müssen sie sich logischerweise  gegenüber dem Ausland verschuldet haben[1]. Diese Verschuldung ist die Folge davon, wenn eine Volkswirtschaft mehr konsumiert als produziert.

Nicht nur die Güter, die Griechenland importiert, kommen aus dem Ausland, sondern auch das Geld um diese Güter zu bezahlen. Vereinfacht gesagt wird der Ankauf eines Volkwagens durch eine griechische Privatperson mit einem Darlehen finanziert, das über Umwege die Deutsche Bank vergibt. Diese volkwirtschaftlichen Schulden – so die keynesianische Interpretation – sind die wahre Ursache für die Probleme, die Südeuropa derzeit hat, nicht die Staatsschulden. Letztere sind in den USA, Deutschland oder Großbritannien sogar höher als z.B. in Spanien, trotzdem gelten diese Staaten als sichere Häfen und zahlen geringe Zinsen. Der Fiskalpakt ist in dieser Sichtweise die völlig falsche Medizin, weil er nicht intendiert die Ungleichgewichte im Außenhandel zu beseitigen und die Produktivität der Industrie in Südeuropa zu steigern, sondern den Sektor Staat – koste es was es wolle – zu schrumpfen. Weil auch einige Ratingagenturen diese keynesianische Auffassung teilen, stufen sie verschuldete Staaten herab. Nicht obwohl sich diese Staaten eine strenge Konsolidierungskur verschrieben haben – wie sich österreichische Journalist/innen in diesem Zusammenhang gerne über Ratingagenturen empören – sondern weil sie sich diese Sparkur verschrieben haben und sich immer tiefer in die Rezession sparen.

Das ist alles nicht ganz einfach, aber auch nicht ganz neu. Zahlreiche Stimmen verweisen auf die Parallelen zu den 1930er-Jahren, als die Sparpolitik Europa zuerst in den wirtschaftlichen und schließlich in den politischen Abgrund stürzte. Die einen Zyniker/innen meinten, der Markt würde seine Selbstheilungskräfte schon entfalten, wenn man ihn nur ließe. Die anderen Zyniker/innen, hofften darauf, dass der politische Abgrund das Morgenrot des Sozialismus heraufbeschwören würde. Beide Sichtweisen haben sich als falsch und menschenverachtend erwiesen. Eine unzynische Haltung aber, die stets an der konkreten Verbesserung der Lebensrealität der Menschen ansetzte, wurde deshalb spätestens ab 1945 zum Kompass der Sozialdemokratie. Der Markt wurde nicht sich selbst überlassen sondern politisch reguliert. Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit via Stabilisierung der Wirtschaft um einen Rückgang der Beschäftigung und einen Anstieg der Armut zu verhindern, war vielleicht das wichtigste Ziel der SPÖ und bis in die 1980er-Jahre auch jenes, das sie am bravourösesten erreichte.

Es ist das Verdienst von Sonja Ablinger sich fachkundig mit der zeitgenössischen Situation auseinandergesetzt und sich davon ausgehend eine Meinung gebildet zu haben – etwas, das man bei derartig zentralen Richtungsentscheidungen auch von den anderen SPÖ-Abgeordneten hätte erwarten können. Was viele Unterzeichner/innen der Solidaritätsseite für Sonja Ablinger bei den restlichen 56 SPÖ-Abgeordneten aber noch viel mehr vermissen sind andere Aspekte: Ein tiefsitzender historischer Reflex beim Thema Krise, eine gesunde intuitive Skepsis gegenüber konservativen Heilkuren via Staatsrückbau und Selbstheilungskräften des Marktes, sowie der feste Glaube an das historisch x-fach erprobte Instrument der staatlichen Konjunkturpolitik zur Verhinderung von Arbeitslosigkeit. Stellvertretend für etliche diesbezügliche Einträge hier ein paar Beispiele:

  • Josef  Madlmayr: “Statt eines “New Deals” für die ArbeitnehmerInnen in Europa, gibt es unser Geld für Banken und Spekulanten. Die Geschichte wiederholt sich.”
  • Susanne Wixforth: “Ich freue mich, dass jemand in der SPÖ so mutig ist, sich gegen den vorherrschenden Glauben der Politik an die Marktkräfte trotz andauernder Wirtschafskrise zu stellen. Sozialdemokratie und Fiskalpakt dieser Art ist inkompatibel.
  • Martin Borger: “Staaten müssen freie Hand haben um mit Budgetpolitik im Konjunkturzyklus vernünftig arbeiten zu können. Der Fiskalpakt schränkt dies ein und führt zu Kaputtsparen.”

Diese mehr oder aus Bauchgefühl gestützte Haltung müsste zum 1×1 der politischen Überzeugungen eines Mitglieds des sozialdemokratischen Klubs zählen, auch wenn sich die Person nicht vordringlich mit Wirtschafts- und Budgetpolitik beschäftigt. Es geht dabei ums Eingemachte, um die historische sozialdemokratische Existenzberichtigung. Woran soll sich eine Bürgerin oder ein Bürger mit dem Wunsch nach politischer Klarheit noch orientieren, wenn nicht einmal die Sozialdemokrat/innen das Sparen in die Krise bedingungslos ablehnen, dem auf sich alleingestellten Markt misstrauen und das Investieren gegen die Arbeitslosigkeit leidenschaftlich befürworten?

„56 von 57 SPÖ-Nationalratsabgeordneten waren bereit, Verantwortung zu übernehmen – es war und ist eine politische Vernunftentscheidung – auch wenn manche es versuchen anders darzustellen.“ So der Seitenhieb der oberösterreichischen SPÖ-Abgeordneten auf Sonja Ablinger nach der Abstimmung. Doch mit Verantwortung übernehmen meinen sie schlicht, sich der Macht zu beugen, die von Merkel nahtlos via Faymann weitergereicht wird. Offenbar ist es verantwortungsvoller sich zu beugen, als Intuition und Gewissen zu vertrauen. Verantwortung fungiert hier als Chiffre für das Mittragen konservativer Politik. Einer Politik, die als vermeintlicher Sachzwang daherkommt. Es ist ein Blick auf die Welt aus konservativen Augen. Wozu braucht es eine sozialdemokratische Partei, wenn sie die Welt mit den Augen der Konservativen sieht, weil sie ihrer eigenen Intuition vor lauter Verunsicherung nicht traut? Sonja Ablinger hat sich die Mühe gemacht, für einen komplexen Sachverhalt einen fachlich fundierten sozialdemokratischen Blick zu entwickeln und dazu zu stehen. Sie hat Verantwortung übernommen, weil sie sozialdemokratisch gehandelt hat. Dafür danken ihr bald 1.200 Menschen auf: http://die57stestimme.sektion-8.at/

 


[1] Sofern der Staat auch verschuldet ist oder zumindest nicht als Gläubiger der Privaten fungiert, was in der Realität nicht vorkommt.

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2 Responses to Verantwortung übernehmen heißt sozialdemokratisch handeln

  1. Reinhard Weidinger 10. Juli 2013 at 11:29 #

    Hallo, auf eurer Webside 57 Stimmen sind z.Z keine Einträge mehr möglich. Würde aber gern

    LG
    Chit Weidinger
    ehem. Vorstitzender SJ Wien

  2. Gerhard Bastir 19. Juli 2012 at 01:44 #

    Gratulation. Eine profunde Analyse.
    Wie kommt es, dass so elementare Erkenntnisse nicht Eingang in ein Parteiprogramm finden. So gut bestellt ist es ja auch nicht mit den Wählerstimmen bei der SPÖ. Anstatt sich die Lösungskompetenz zur Krisenbewältigung durch Zustimmung belohnen zu lassen, will man mit Neoliberalismus light punkten. Ich glaube,dass die junge SPÖ sich mehr Geltung verschaffen muss; wenn es nicht anders geht, durch Gründung einer „linken“ Fraktion.
    Mit der Umbenennung auf sozialdemokratische Partei hat die SPÖ Kindesweglegung betrieben und ihre Grundwerte verraten.

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