Schluss mit Lohndumping

Warum Männer für eine echte Frauengleichstellung mitkämpfen müssen.

Christoph Baumgarten

Gehaltsschere heißt der abstrakte Ausdruck, mit dem Lohndumping in zahlreichen Branchen in Österreich umschrieben wird. Ein Terminus, der sehr oft die Sicht auf das Problem verstellt. Frauen verdienen nicht ein Drittel weniger, weil sie in schlecht bezahlten Branchen arbeiten. Diese Branchen sind schlecht bezahlt, weil dort mehrheitlich Frauen arbeiten. In der Textilindustrie etwa gab es lange sehr hohe Löhne. Bis dort Frauen einen hohen Anteil der Beschäftigten stellten. Als die Löhne sanken, wanderten die Männer in andere Branchen ab. Auch traditionell weibliche Berufe wie Sprechstundenhilfe oder Notariatsgehilfin zählen zu den am schlechtesten bezahlten Branchen. Arbeit, die von Frauen erbracht wird, gilt als weniger wertvoll als Arbeit, von Männern erbracht wird. Das macht es auch für Frauen schwerer, die in Branchen vordringen, die nicht rein weiblich sind. Dort werden sie um gut ein Viertel schlechter bezahlt als Männer. Meist werden Arbeiterinnen als angelernte Kräfte bezahlt, Männer als Facharbeiter. Das hat sich seit der Jugend von Rosa Jochmann kaum geändert. Frauen wird ihre branchenfremde Ausbildung vorgeworfen. Männern wird sie angerechnet.

Für Männer schafft das kurzfristige Vorteile. Sie verdienen mehr. Sie fühlen sich in ihrer „historischen“ Rolle als Familienernährer bestätigt. Ungeachtet der Tatsache, dass diese „historische“ Rolle bestenfalls auf einen sehr kleinen, begüterten, Teil der Bevölkerung zutrifft – und auch das nur unter bestimmten Voraussetzungen.

Langfristig verkehrt sich dieser Vorteil ins Gegenteil. Kann ein Unternehmer zwei Gruppen gegeneinander ausspielen, wird er das tun, wenn es ihm nötig erscheint. Verdient eine Gruppe von Mitarbeiter(inne)n in einem Betrieb weniger, kann er mit diesem Kostenvorteil die Besserverdienenden unter Druck setzen. Ein derartiges Ungleichgewicht wird langfristig dazu führen, dass die Lohnzuwächse für alle Beteiligten geringer ausfallen. Es schadet der gesamten Belegschaft. Eine Asymmetrie, die im gesamten Wirtschaftssystem besteht.

Diskriminierung schadet auch denen, denen sie kurzfristige Vorteile zu bringen scheint. Die alleinigen Profiteure sind die, die über genügend Macht verfügen, um Diskriminierte gegen Nicht-Diskriminierte auszuspielen.

Die Diskriminierung von Frauen schwächt Gewerkschaften entscheidend, mag es ihnen bewusst sein oder nicht. Es gibt kein gemeinsames Kampfziel. Frauen wollen „nur“ faire Bezahlung. Männer wollen mehr und sie wollen vielfach vor allem mehr verdienen als ihre Kolleginnen. Gewerkschaften müssen  beide Interessen zugleich behandeln. In der Praxis führt das häufig dazu, dass der Kampf um einen gerechten Lohn den Frauenorganisationen innerhalb der Gewerkschaften überlassen wird. Die Männer kämpfen für die „klassischen“ Ziele. Aus dieser Lage heraus ist es schwierig, eine einheitliche Position zu entwickeln. Erst diese würde es ermöglichen, die systematische und strukturelle Diskriminerung von Frauen zu beenden. Und erst dann werden die Lohnabhängigen mit einer einzigen Stimme sprechen können. Was die Verhandlungsmacht deutlich zugunsten ihrer VertreterInnen verschieben würde. Ein erfolgreicher Kampf um gerechte Bezahlung ist die Voraussetzung für den gewerkschaftlichen Kampf um ein größeres Stück vom Kuchen und weniger Ausbeutung.

Diese Diskursebene wird in der herkömmlichen Frauenpolitik – egal von welcher politischen Seite  – ausgeblendet. Leider hat auch die Wiener SPÖ eine Chance vertan, diese Debatte zu eröffnen. Mit ihrer Plakatserie zum Frauenwahlrecht vermittelt sie unbeabsichtigt den Eindruck, „nur“ Frauen hätten vom Frauenwahlrecht profitiert. Aus lauter (mehr als berechtigter) Freude über die historische emanzipatorische Errungenschaft wird vergessen, dass das Frauenwahlrecht zu einer Demokratisierung der gesamten Gesellschaft geführt hat. Überall, wo es eingeführt wurde. Das Ende der Diskriminierung einer Gruppe führt zu mehr Freiheit für alle. Diese Effekte hat es auch in den USA nach dem Ende der Segregation gegeben und erst recht in Südafrika nach dem Ende der Apartheid.

So sehr der Kampf gegen jede Hürde, die Frauen behindert, notwendig und zu unterstützen ist, so wenig darf sich Frauenpolitik auf diesen Aspekt beschränken. Der Kampf um Gleichberechtigung muss verstärkt auf der ideologischen Ebene geführt werden. Mit dem erhobenen Zeigefinger und dem Hinweis, Frauen seien doch bitte nicht zu benachteiligen, allein wird das nicht gehen. Die Debatte, dass sich männliche Lohnabhängige, die Diskriminierung von Kolleginnen eines vermeintlichen Vorteils wegen stillschweigend akzeptieren, ins eigene Fleisch schneiden, muss hinaus getragen werden. In die Fabriken und Büros. Es wird harte Überzeugungsarbeit notwendig sein, die die „klassische“ Hinterfragung von Geschlechterrollen nicht ersetzen kann aber ergänzen muss. Um Kinderbetreuungsplätze zu kämpfen ist dringend notwendig. Ebenso Frauenquoten in Aufsichtsräten und in Spitzenpositionen, um die aktuell am meisten diskutierten Teilbereiche klassischer Frauenpolitik aufzugreifen. Das sind wichtige Beiträge im Kampf um Frauenrechte. Aber nur erste Schritte.

So lange der Kampf um Gleichstellung die Sache der Frauen und weniger engagierter Männer bleibt, so lange wird Gleichstellung Illusion bleiben. Erst wenn sich die Überzeugung durchgesetzt hat, dass Gleichstellung die Lohnabhängigen doppelt stark macht, kann die heutige Diskriminierung überwunden werden. Eine Diskriminierung, die bislang eines der größten Hindernisse im politischen Kampf der arbeitenden Menschen war. Ein Hindernis, das man sich selbst aufgestellt hat.

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